0.1. Ein spezifisch mediterraner Staatstyp
Mit dem Ausdruck Seerepublik, ita. repubblica marinara wird ein ganz spezifisch mediterraner Staatstyp des Mittelalters und der frühen Neuzeit bezeichnet, den man als Stadtrepublik mit einem mehr oder weniger verzweigten Netz von kolonialen Stützpunkten im Mittelmeer- und im Schwarzmeergebiet charakterisieren kann. In erster Linie geht es um Amalfi, Pisa, Genua und Venedig, in zweiter Linie dann auch um Ragusa (kroat. Dubrovnik) in Dalmatien sowie um Ancona, Gaeta und Noli; die kommunikationsräumlich besonders prägenden Republiken werden in jeweils eigenen Kapiteln behandelt (vgl. Amalfi, Pisa, Genua, Venedig). Es ergibt sich, grosso modo, einerseits eine historische Staffelung im Blick auf die Folge Amalfi → Pisa → Genua | Venedig:
Andererseits ist die regionale Komplementarität zwischen Genua (Tyrrhenisches Meer) und Venedig (Adria) mit dauerhafter konfliktueller Konkurrenz in der Ägäis politisch und wirtschaftlich prägend. In sprachgeschichtlicher Hinsicht ergeben sich im Blick auf die Seerepubliken u.a. die folgenden Fragestellungen:
- Hatten diese frühen Staatsgebilde Einfluss auf die Herausbildung der heutigen (Italo-) Romania (vor allem in Korsika, Sardinien, Dalmatien, Friaul)?
- Zeigt die moderne ita. Standardsprache Spuren untergegangener rudimentärer Ausbau- und Überdachungsprozesse?
- Sind eventuell bestimmte Diskurstraditionen ('Textgattungen') in den Seerepubliken entstanden?
- Sind italoromanische Varietäten durch andere (nicht romanische) Sprachgemeinschaften benutzt worden, und, wenn ja, in welchen kommunikativen Funktionen (Handel, Seerecht, Sklaverei, Seerecht, Politik, Militär)?
- Läßt sich die Herkunft der sog. ‘italienischen’ Lehnwörter in anderen romanischen und nicht romanischen Sprachen (im Französischen, Deutschen, Albanischen, Griechischen, Türkischen) im Blick auf diese spezifischen Kontakte genauer beschreiben?