Das Bildungswesen als Indikator für den Stellenwert des Dialekts im Veneto
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei denjenigen bedanken, die mir während der Anfertigung dieser Bachelorarbeit zur Seite gestanden sind und mich unterstützt haben.
Zuvörderst gilt mein Dank der Academia de ła Bona Creansa sowie allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen an meiner Umfrage, ohne deren Bereitschaft und Hilfe diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Ein besonderer Dank gilt dabei Herrn Dott. Alessandro Mocellin, an den ich mich jeder Zeit mit Fragen wenden konnte. Zudem möchte ich Ihm für das ausführliche Interview und die interessanten Antworten danken.
Abschließend gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Thomas Krefeld, der meine Bachelorarbeit betreut hat. Für die Anregungen, die konstruktive Kritik sowie die Geduld möchte ich mich herzlich bedanken.
„La lingua è la forma d’arte più massiva e
inclusiva che conosciamo, un enorme e
anonimo lavoro di generazioni inconsapevoli“
„Ła łengua ła ze ła forma de arte pi masiva e
incluziva che nialtri conosemo, un łaoro grando e
anònemo de zenarasion mìa cosciente“
(Edward Sapir, zitiert in (Anonymus 2019))
1. Einleitung
„La rivincita del dialetto fra i banchi di scuola“ (La Repubblica 2018), so lautete im Jahr 2018 die Überschrift eines Artikels in der La Repubblica, in dem das Pilotprojekt der Academia de ła Bona Creansa – das Unterrichten des Venetischen an Schulen – beschrieben wurde. Obgleich der großen Dialektvielfalt Italiens zeigen Statistiken des ISTAT, dass der Dialektgebrauch auch in Italien weiter abnimmt (vgl. ISTAT 2017b, 1). Die Region des Veneto gehört allerdings zu den wenigen, in denen die lokalen Varietäten weiterhin sehr stark verwendet werden (vgl. ISTAT 2017b, 6). Angesichts der großen Bedeutung, die dem Dialekt im Veneto zukommt und die auch durch regelmäßig durchgeführte Umfragen bestätigt wird, drängt sich eine Analyse der dialektalen Situation gewissermaßen auf (ISTAT 2017b). Während die Einbindung von Minderheitensprachen, wie Friaulisch und Ladinisch, in das Bildungssystem bereits untersucht wurde (Neuber/Schiller 2012), ist der Unterricht einer per Gesetz nicht geschützten Varietät, die einer nicht-autonomen Provinz angehört, wie in diesem Fall das Venetische, weitestgehend unerforscht.
In diesem Rahmen widmet sich die vorliegende Bachelorarbeit der Frage, inwiefern das Bildungswesen einen Indikator für den Stellenwert des Dialekts im Veneto darstellt. Ziel der Arbeit ist es, anhand einer Analyse erhobener Umfragedaten sowie eines Interviews herauszufinden, welche Rolle der „lingua veneta“ gegenwärtig, unter anderem auch im schulischen Bereich, zukommt und inwiefern sich die Einstellung gegenüber der Lokalsprache im Veneto durch eine Integration in das Bildungswesen verändern könnte. Um einen möglichst präzisen Überblick über den Dialektunterricht im Veneto zu erhalten, soll darüber hinaus auch ein Blick auf die Rolle des Staats geworfen werden.
Mittels einer Kombination aus einer quantitativen Fallstudie in Form einer Umfrage und eines qualitativen Interviews werden die Unterrichtspraxis der Academia de ła Bona Creansa, diesbezügliche Erfahrungen und sowohl Ansichten hinsichtlich der Lokalsprachen, den damit verbundenen Chancen und Schwierigkeiten als auch die Auffassung bezüglich einer Integration in das Bildungswesen analysiert wie auch erläutert und graphisch dargestellt. Die Verknüpfung eines quantitativen methodischen Designs mit einem Qualitativen wurde hierbei gewählt, um die Möglichkeit der Einbindung des Dialekts in das Bildungswesen einerseits beschreiben sowie erklären zu können und andererseits Vergleiche bzw. Zusammenhänge zwischen den Daten der Umfrage und des Interviews zu ziehen. Aufgrund ihrer Kürze erhebt diese Arbeit jedoch in keiner Weise Anspruch auf Vollständigkeit.
Im Verlauf der Arbeit werden zu Beginn innerhalb eines theoretischen Rahmens zunächst die Begriffe Sprache, Dialekt und Minderheitensprache definiert, da eine wissenschaftliche Abgrenzung der Termini äußerst schwierig ist (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 16). Im Anschluss wird eine Auswahl dialektaler Charakteristika der drei Dialektgruppen Italiens näher betrachtet, gefolgt von einer Skizzierung der Situation der „lingua veneta“ sowie deren Besonderheiten. Darüber hinaus wird das Verhältnis von Dialekt und Schule aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Der theoretische Rahmen endet schließlich mit einem Kapitel, das die Organisation der Academia de ła Bona Creansa sowie ihre Tätigkeiten, Initiativen und Ziele näher beschreibt. Daraufhin folgt der empirische Teil dieser Arbeit, der in Form einer Fallstudie zur Auswirkung der Einbindung des Dialekts in das Bildungswesen realisiert wurde. Zunächst wird nochmals die Fragestellung thematisiert und das methodische Vorgehen detailliert beschrieben. Hierauf schließt sich die Analyse der Umfragedaten an, die zeigen wird, welche Bedeutung der „lingua veneta“ heutzutage zukommt, wie eine Integration des Dialekts die Einstellung gegenüber Lokalsprachen verändert und welche Rolle der Staat diesbezüglich einnimmt. Dabei werden stets Vergleiche mit den Antworten des Interviews gezogen. Die Resultate werden daraufhin zusammengefasst und mitunter kritisch diskutiert. Eine abschließende Reflexion der vorliegenden Arbeit wird im Fazit vorgenommen.
2. Theoretischer Rahmen
2.1. Abgrenzung von Sprache, Dialekt und Minderheitensprache
Um begriffliche Unklarheiten zu klären, sollen eingangs die Termini Sprache, Dialekt und Minderheitensprache kontrastiert werden.
Hinsichtlich der Definitionen lassen sich Sprache bzw. Standardsprache oder auch Standardvarietät relativ einfach als „[…] Bezeichnung für eine i. d. R. kodifizierte Sprache“ (Ammon 2016, 669) und Dialekt als „Mundart […] bzw. als lokale oder regionale Varietät einer Sprache“ (Haase 2013, 13) einordnen. Eine wissenschaftliche Abgrenzung der beiden Begriffe ist dagegen äußerst schwierig, da neben linguistischen vor allem außersprachliche Aspekte von Bedeutung sind (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 16).
Bezüglich der linguistischen Kriterien lässt sich häufig die wechselseitige Verständlichkeit als Maßstab heranziehen (vgl. Platz-Schliebs u.a. 2012, 143). Ist diese aufgrund des großen Abstands zwischen den Varietäten nicht gegeben, werden diese häufig als zwei eigene Sprachen, sog. Abstandssprachen, klassifiziert (vgl. Platz-Schliebs u.a. 2012, 143f.; Gabriel/Meisenburg 2017, 68). Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass eine Interaktion immer auch von den Gesprächsteilnehmern, ihren Fähigkeiten und Erwartungen, dem jeweiligen Thema sowie von der Gesprächssituation und äußeren Einflüssen abhängt und dementsprechend variieren kann (vgl. Platz-Schliebs u.a. 2012, 143; Gabriel/Meisenburg 2017, 68).
Die außersprachlichen Faktoren betreffend, sind meist politische und kulturgeschichtliche Aspekte, wie beispielsweise der Status als Nationalsprache, Schrifttraditionen oder Prestigefragen bei der Klassifizierung von Sprachen ausschlaggebend (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 16; Gabriel/Meisenburg 2017, 67ff.). Diese Komponente orientiert sich vor allem am Ausbau der Varietäten und den dafür erforderlich aufzuweisenden Funktionen (vgl. Platz-Schliebs u.a. 2012, 146). Dementsprechend müssen alle kommunikativen Interessen einer Sprachgemeinschaft mit einer geeigneten Varietät abgebildet werden können, wodurch andere regionale Varietäten, die dazu nicht im Stande sind, von dieser funktionaleren Varietät überdacht werden (vgl. Gabriel/Meisenburg 2017, 69; Platz-Schliebs u.a. 2012, 146).
Neben den linguistischen und außersprachlichen Kriterien weisen Gabriel/Meisenburg (2017, 69) auf eine dritte Komponente hin, die sog. „subjektive Komponente“, die das Bewusstsein bzw. die Einstellung der Sprecher gegenüber ihrer Varietät – Sprachgemeinschaft vs. Dialektgemeinschaft – impliziert. Im Idealfall führt das Zusammenspiel der drei Komponenten zur Definition und Klassifizierung einer Varietät als Sprache (vgl. Gabriel/Meisenburg 2017, 69). Allerdings kommt der letztgenannten subjektiven Komponente die bedeutendste Relevanz zu, da sich eine Sprachgemeinschaft immer erst dann bildet, wenn Sprecher vorhanden sind, die sich mit der Sprache identifizieren (vgl. Gabriel/Meisenburg 2017, 70; Platz-Schliebs u.a. 2012, 146). Aufgrund von politischen und ideologischen Beeinflussungen überwiegen jedoch vielfach Differenzen bei den Sprechern hinsichtlich der Bewertung ihrer Varietät als Sprache oder Dialekt, wodurch die Thematik hierbei letztlich mehr politischer als sprachwissenschaftlicher Natur ist (vgl. Gabriel/Meisenburg 2017, 70). Dabei spielen auch tiefsitzende Vorurteile sowie Werturteile gegenüber den Begriffen Sprache und Dialekt eine Rolle (vgl. Blasco Ferrer 1994b, 12).
Die folgende Grafik nach Blasco Ferrer (1994b, 12) soll die Differenzierung von Sprache und Dialekt nochmals veranschaulichen:
Um das Wesentliche nochmal zusammenzufassen: Standardsprachen realisieren bedeutende soziale und überregionale Funktionen, enthalten präzise Normen sowie eine Schrifttradition, dienen als Schulsprache, überlagern die lokalen Nebenvarietäten und zeichnen sich neben einer geringen Variation durch ein hohes soziales Prestige aus (s.o.). Dialekte sind dagegen lokal bzw. regional gebunden, werden fast ausschließlich mündlich verwendet, haben keine explizite Norm, wie eine Grammatik, Lexikographie, Orthographie etc., sondern zeigen eine größere Variationsbreite und weisen meist ein geringeres soziales Prestige auf. Blasco Ferrer (1994b, 12) klassifiziert Dialekte dementsprechend als „ein Sprachsystem mit eingeschränkter Funktionalität“. Grundsätzlich sind die Grenzen jedoch fließend, sodass man von einem Kontinuum zwischen Sprache und Dialekt spricht.
Neben Sprache und Dialekt werden ferner die sog. Minderheitensprachen abgegrenzt, die Ammon (2016b, 647) als „[z]ahlenmäßig kleinere Sprachgemeinschaft, die mit (einer) größeren Sprachgemeinschaft(en) in einem Gemeinwesen zusammenlebt“ definiert. Eine noch präzisere Definition findet sich bei Jan Wirrer (2000, 8) indem er auf die Aspekte der Ethnie und Religionsgemeinschaft verweist. Demnach ist eine Minderheitensprache dann eine Sprache, wenn sie „[…] eine über Selbstdefinition konstituierte ethnische und/oder religiöse Minderheit als ihre autochthone Sprache ansieht, sich linguistisch von der jeweiligen Mehrheitssprache unterscheidet, von einem unterschiedlich hohen Prozentsatz dieser Minderheit gesprochen wird und von den Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung in der Regel nicht beherrscht wird“ (Wirrer 2000, 8). Dem Territorium, in dem sich die sprachliche Minderheiten befinden, kommt mit Blick auf die Definition – im Unterschied zu Regionalsprachen – keine weitere Bedeutung zu (vgl. Wirrer 2000, 8f.). Darüber hinaus ist zu beachten, dass viele Minderheitensprachen in benachbarten Staaten häufig den Status einer Standard- bzw. Amtssprache besitzen, wodurch deutlich wird, dass im Zusammenhang mit Minderheitensprachen immer das Verhältnis zur Bezugsgröße berücksichtigt werden muss (vgl. Wirrer 2000, 9f.).
Einige dieser, in Italien zahlreich vertretenen, jedoch gefährdeten, sprachlichen Minderheiten sind durch das Gesetz legge 482 (1999) im Sinne der Eu-Charta der Regional- und Minderheitensprachen geschützt, wie z.B. Sardisch auf Sardinien, Ladinisch in den Dolomiten oder Friaulisch (vgl. Haase 2013, 45f.; Europarat 1992, 2). Hierbei wird das Ziel verfolgt, insbesondere die jeweilige Sprache und Kultur der Minderheiten zu bewahren und zu pflegen (vgl. Blasco Ferrer 1994b, 14f.; Haase 2013, 46f.).
Dieses erste Kapitel sollte dazu dienen, begriffliche Unklarheiten zu klären, die zentralen Termini einzuordnen sowie auf die Schwierigkeiten der Differenzierung von Sprache, Dialekt und Minderheitensprache hinzuweisen, da diese im weiteren Verlauf der Arbeit am Beispiel der „lingua veneta“ eine Rolle spielen.
2.2. Dialektale Charakteristika
Um die zuvor dargestellte Abgrenzung von Sprache, Dialekt und Minderheitensprache in einen größeren Kontext zu setzen, wird anschließend ein kurzer Überblick der dialektalen Charakteristika der drei Dialektgruppen Italiens gegeben. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird hierbei lediglich eine Auswahl vorgenommen.
Ein erstes Charakteristikum der norditalienischen Dialekte (s. grün markierten Bereich in Abb. 2) ist die Sonorisierung der Konsonanten [p], [t], [k], die sich teilweise bis zum gänzlichen Schwinden der Konsonanten entwickeln kann, wie z.B. lig. cavèli oder in Bergamo kaèi ‚capelli“ (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 24; Haase 2013, 147f.). Als weitere Merkmale der oberitalienischen Dialekte lassen sich die Vereinfachung der Geminaten zu einfachen Konsonanten, z.B. piem. buka ‚bocca‘, venez. pano ‚panno‘ oder venez. sòno ’sonno‘, sowie die „Palatalisierung der velaren Explosive im Anlaut“ (Haase 2013, 148) anführen, wie beispielsweise lomb. čaf ‚chiave‘, venez. sénare ‚cenere‘ (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 24f.; Haase 2013, 148f.). Neben einigen weiteren Charakteristika sollen hierbei auch die gerundeten Palatalvokale als Besonderheit der galloitalienischen Dialekte genannt werden, z.B. piem. kör ‚cuore‘, lig. fögu ‚fuoco‘ (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 26f.; Haase 2013, 150f.).
Hinsichtlich der mittel- und süditalienischen Dialekte (s. rötlich-orange bzw. gelb markierten Bereich in Abb. 2) lassen sich unter anderem die „totale progressive Assimilation“ (Geckeler/Kattenbusch 1992, 31), wie z.B. in neapol. sammuco ’sambuco‘, sizil. munnu ‚mondo‘ zu sehen ist, sowie der neutrale Vokal im Auslaut (Schwaben) bzw. der totale Schwund von Auslautvokalen, z.B. neapol. misǝ ‚mesi‘, abruzz. vacch ‚vacche‘, nennen (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 35; Haase 2013, 164ff.). Darüber hinaus ist die Kollektivform des Neutrums in den mittel- und süditalienischen Dialekten sehr auffällig, da beispielsweise im Süden Umbriens ein Unterschied zwischen dem einzelnen Fisch lu pesce und lo pesce, dem Fisch z.B. als Lebensmittel (kollektiv) besteht (vgl. Haase 2013, 164ff.).
Die dritte Dialektgruppe, die toskanischen Dialekte (s. lila markierten Bereich in Abb. 2), zeichnet sich schließlich neben weiteren Merkmalen durch die „Reduktion von /-rj-/ zu /j/“ (Haase 2013, 160) aus, z.B. aia ‚area‘ (vgl. auch Geckeler/Kattenbusch 1992, 37). Das signifikanteste Spezifikum der gesprochenen toskanischen Dialekte spiegelt jedoch die sog. gorgia toscana, die „Aspirisierung bzw. Spirantisierung der stimmlosen Verschlußlaute -[k]-, -[t]- und -[p]- in untervokalischer Stellung“ (Geckeler/Kattenbusch 1992, 37f.) wider, wie anhand folgender Beispiele zu sehen ist: amiXo, amiho ‚amico‘, la hasa ‚la casa‘ oder meɵa ‚meta‘ (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 37f.; Haase 2013, 158f.).
Dieser knappe Überblick sollte einige Besonderheiten der jeweiligen Dialektgruppen veranschaulichen, um einerseits eine Basis für die folgenden Kapitel zu schaffen und andererseits das Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit der regionalen Varietäten zu schärfen.
2.3. Die Situation der „lingua veneta“
Nachfolgend soll nun der Fokus auf der Varietät des Veneto liegen, wobei sowohl die sprachliche Situation als auch die Problematik der Bezeichnung als „dialetto veneto“ oder als „lingua veneta“ thematisiert wird.
Um die Situation der „lingua veneta“ besser nachvollziehen zu können, muss zunächst ein kurzer Blick auf die Region des Veneto und seine Geschichte in Form eines Exkurses geworfen werden. Die nord-östlich angesiedelte Region des Veneto hat aufgrund ihrer Geschichte tiefreichende Wurzeln, die bis in die Antike zurückreichen (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.). Mit der Eroberung Venetiens durch die Römer im 3. Jh. v. Chr. entwickelten sich die Siedlungen der indogermanischen Veneter unter römischem Stadtrecht zu äußerst wichtigen Handelszentren (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.). Der Untergang des Römischen Reiches und die damit verbundenen Unsicherheiten führte dazu, dass ein Großteil der Bevölkerung Venetiens aufgrund der Völkerwanderung von der Terra ferma in die Lagune floh und sich dort ansiedelte, wodurch das Fundament Venedigs gelegt wurde (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.). Nach und nach entwickelte sich die Serenissima zu einer Seemacht sowie zu einer der wichtigsten Handelsstädte Europas, deren Herrschaft sich über den gesamten Mittelmeerraum erstreckte (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.). Der über zwei Jahrhunderte andauernden glorreichen Zeit Venedigs folgte schließlich ein langsamer Niedergang, da die Osmanen sukzessive das östliche Mittelmeer erobern konnten, wodurch sich die Serenissima verstärkt der Terra ferma zuwandte. Zugleich wurde die Ausdehnung der Dogenrepublik nach Westen und Norden durch Österreich und Frankreich unterbunden (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.; Istituto Lingua Veneta o.J.). Endgültig besiegelt wurde das Ende der Republik Venedig im Jahre 1815 mit dem Wiener Kongress, der sie dem Kaiserreich Österreich eingliederte (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.; Istituto Lingua Veneta o.J.). Das Veneto verlor damit nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern erlebte auch einen Prestigeabfall; darüber hinaus folgten Ausbeutungen und Hungerzustände, die eine massive Auswanderung der venetischen Bevölkerung nach sich zogen (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.; Istituto Lingua Veneta o.J.). Die „lingua veneta“, ehemals offiziell anerkannte Amtssprache der Republik verlor damit auch diesen privilegierten Status (vgl. Istituto Lingua Veneta o.J.). Nach einem langen, erbitterten Kampf italienischer Teilstaaten gegen Österreich um die Unabhängigkeit1, folgte 1861 schließlich die Gründung des Königreichs Italien, dem sich 1866 auch das Veneto anschloss (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.). Die beiden Weltkriege hinterließen auch in der Region Venetien ein Bild der Verwüstung (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.). Allerdings konnte das Veneto seitdem infolge intensiver Arbeit, eines ausgedehnten Wirtschaftswachstums sowie des Tourismussektors seine Industrie und Wirtschaft wieder aufbauen, wodurch es sich zu einer der vermögendsten und fortgeschrittensten Regionen Italiens entwickelte (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.; Santipolo/Tucciarone 2006, 162).
Aufgrund dieser Geschichte, insbesondere wegen der Zeit der glorreichen Dogenrepublik und trotz eines immer noch vorhandenen Unterdrückungsgefühls, das aufgrund der verschiedenen Machtwechsel entstand, ist die subjektive Komponente (s. Kap. 2.1) im Veneto sehr stark ausgeprägt, d.h. das Selbstverständnis einer Sprachgemeinschaft anzugehören, ist in dieser Region äußerst hoch, was auch die Ergebnisse des empirischen Teils dieser Arbeit (s. Kap. 3.3) illustrieren werden. Im Veneto fand – auch aufgrund des enormen sozio-ökonomischen Wandels – eine Veränderung der Einstellung gegenüber der eigenen Kultur und Varietät statt (vgl. Santipolo/Tucciarone 2006, 162f.). Die „lingua veneta“ wurde in diesem Zusammenhang wieder stärker aufgegriffen und in einer positiven Weise interpretiert, in dem sie nicht mehr mit einem niedrigen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Niveau sowie Bildungsstand assoziiert wird, sondern indessen ein starkes Zusammengehörigkeits- und Identitätsgefühl repräsentiert (vgl. Santipolo/Tucciarone 2006, 162f.). Bedeutsam ist laut Santipolo/Tucciarone (2006, 163) „[…] il fenomeno della semidialettofonia, vale a dire la condizione di competenza parziale in dialetto da parte di un alloglotto“, zu dem v.a. die Verachtung und Abwertung des Dialekts beigetragen hat. Denn dieses Phänomen kann dahingehend als „surplus comunicativo“ (Santipolo/Tucciarone 2006, 163) charakterisiert werden, indem die italienische Sprache zwar grundsätzlich alle kommunikativen Absichten umfasst, im Veneto allerdings für eine vollständige Integration eine annähernde Beherrschung der „lingua veneta“ impliziert wird.
Weiterhin zeigt die aktuelle sprachliche Situation der venetischen Varietät eine Sprecherzahl im europäischen Raum2 von insgesamt ca. 3,8 Mio. Sprechern, die ca. 69,9% der venetischen Bevölkerung repräsentieren (vgl. UNESCO 2017; Ethnologue 2020). Darüber hinaus existieren weitere venetische Sprecherschaften – ehemalige Auswanderer des Veneto – in Mexiko sowie im Süden Brasiliens (vgl. Mocellin/Klein/Stegmann 2016, 237). Die in Brasilien gesprochene „lingua veneta“, auch „Talian“ oder „Vêneto brasileiro“ (Mocellin/Klein/Stegmann 2016, 237) genannt, umfasst dabei über eine halbe Million Sprecher und kann somit als größte Sprecherschaft außerhalb des Veneto betrachtet werden. Obwohl die Sprecher in Brasilien verstreuter sind, sind sie laut Mocellin (s. Anhang 2, Frage 10) linguistisch gesehen homogener. Im Veneto besteht dagegen eine fortlaufende Struktur, die aber im Vergleich zur brasilianischen weniger homogener erscheint (s. Anhang 2, Frage 10). Insgesamt kann die Gesamtsprecherzahl der „lingua veneta“ auf ca. 7 Millionen geschätzt werden (vgl. Anonymus 2019).
Hinsichtlich der Frage, ob es sich beim Venetischen um einen Dialekt oder eine Sprache handelt, kann gesagt werden, dass hier Uneinigkeit herrscht. Grundsätzlich ist das Veneto im Vergleich zu anderen Regionen Italiens ein Gebiet mit einer immer noch sehr präsenten Varietät, was auch aus der Umfrage des ISTAT (ISTAT 2017b, 6) aus dem Jahr 2015 hervorgeht, wie Abbildung 4 zeigt. Aus den Darstellungen geht hervor, dass der Dialektgebrauch vor allem im Süden Italiens (s. Abb. 4 rechts) noch sehr verbreitet ist, weshalb sich das Veneto mit einem Dialektgebrauch von 62% von den nördlichen Regionen deutlich abhebt (vgl. ISTAT 2017b, 6). Es fällt auf, dass beispielsweise im Vergleich zur autonomen Region Friuli-Venezia Giulia im Veneto ein intensiverer Dialekt- und Varietätengebrauch vorherrscht, obwohl Venetien keine autonome Provinz Italiens ist (s. Abb. 4).
Der UNESCO Atlas of the World’s Languages in Danger klassifiziert die Vitalität der „lingua veneta“ trotz des vergleichsweise hohen Gebrauchs in der Region als „vulnerable“ (UNESCO 2017), ein Entwicklungsstand, der zwar Anlass zur Sorge und Initiative gibt, im Vergleich z.B. zum Zimbrischen, das als definitiv vom Aussterben bedroht eingestuft wird, oder anderen Sprachen aber immer noch relativ gut ist (vgl. UNESCO 2017).
Ähnlich ist auch die Darstellung der „lingua veneta“ im Ethnologue: die Sprecherzahl wird dort nicht nur als groß eingestuft, wie anfangs bereits angesprochen wurde, sondern auch die Vitalität als stabil kategorisiert, d.h. dass die Sprache zwar nicht durch Institutionen getragen und aufrecht erhalten wird, aber immer noch die Norm in der Familie und Gemeinde bzw. dem Umfeld darstellt, sodass Kinder die Sprache weiterhin lernen sowie benutzen (vgl. Ethnologue 2020). Darüber hinaus ist die „lingua veneta“ durch den Code „ISO 639-3 vec“ (Ethnologue 2020) eindeutig als Sprache identifizierbar, wobei für diese Klassifizierung Faktoren wie sprachliche Ähnlichkeit, gegenseitige Verständlichkeit, Literaturtraditionen und subjektive Sprecheransichten berücksichtigt wurden (vgl. SIL International 2020).
Ferner weist auch die gesetzliche Situation Uneinigkeiten hinsichtlich der Klassifizierung der „lingua veneta“ als Sprache oder Dialekt auf. Im Jahr 2007 hat der Regionalrat des Veneto ein Gesetz3 erlassen, das dem Schutz, der Aufwertung sowie der Förderung des sprachlichen und kulturellen Erbes des Veneto dienen soll (vgl. Consiglio Regionale del Veneto 2007).4 Die Resolution des Europarates über regionale oder Minderheitensprachen des Jahres 19885 kann dabei als Grundlage betrachtet werden, da dort die Bedeutung und Bewahrung respektive Pflege von Kleinsprachen explizit hervorgehoben wird und in diesem Sinne der Gebrauch von Regional- oder Minderheitensprachen als ein unveräußerliches Recht der Menschen bezeichnet wird, wie das folgende Zitat veranschaulicht:
„Considering that some regional or minority languages are in danger of eventual extinction, to the determent of Europe’s cultural wealth and traditions, and therefore deeming it legitimate and necessary to take special steps to preserve and develop them;
Considering that the right of people to express themselves in their regional or minority language in private and social life is an inalienable right conforming to the principles embodied in the United Nations International Covenant on Civil and Political Rights in the Council of Europe Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and in the Final Act of the Conference on Security and Co-operation in Europe“ (Europarat 1988, 155).
In diesem Sinne arbeitet auch die Academia de ła Bona Creansa (s. Kap. 2.6), die sich dem Ziel der Bewahrung und Förderung der Sprache und Kultur des Veneto verschrieben hat (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021).
Trotz der Bemühungen des Veneto und der Grundlage der Resolution des Europarates wird das Gesetz des Veneto vom italienischen Staat nicht befürwortet, was auch auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die „lingua veneta“ per Gesetz6 nicht als Minderheitensprache anerkannt ist (vgl. Consiglio Regionale del Veneto o.J.; Haase 2013, 46). Dagegen hat die venetische Varietät Taliàn seit 2014 in Brasilien den Status einer anerkannten Minderheitensprache und wird zudem als immaterielles Kulturerbe Brasiliens definiert (vgl. Borgia 2014).
Um auf die vorige Frage der Klassifizierung des Venetischen als Sprache oder Dialekt zurückzukommen, ist nun festzuhalten, dass eine eindeutige Antwort hierauf nicht gegeben werden kann, da Sprache und Dialekt aufgrund fließender Grenzen und unterschiedlicher linguistischer, kultureller oder politischer Perspektiven nicht präzise voneinander abgegrenzt werden können, wie in Kap. 2.1 bereits skizziert wurde. Auch wenn einige Faktoren für die Klassifizierung der „lingua veneta“ als Sprache bzw. Minderheitensprache sprechen, wie z.B. die subjektive Komponente oder die Klassifizierung durch den Ethnologue, gibt es auch Schwierigkeiten, wie beispielsweise die Standardisierung der Rechtschreibung (vgl. Schweitz 2016, 4f., 34). Letztlich liegt die diesbezügliche Entscheidung bei der politischen Instanz, d.h. beim italienischen Staat.
Aufgrund der genannten Schwierigkeiten hinsichtlich der Klassifizierung des Venetischen als Sprache oder Dialekt sowie der Vor- und Werturteile, die insbesondere mit dem Begriff Dialekt einhergehen, wird in dieser Arbeit das Venetische als Varietät oder „lingua veneta“ bezeichnet, um negative Konnotationen zu vermeiden.7 Letztere Bezeichnung soll dabei keine explizite Entscheidung für eine Klassifizierung des Venetischen als Sprache darstellen, weshalb der Terminus immer durch Anführungszeichen gekennzeichnet wird.
2.4. Charakteristiken der „lingua veneta“
Nachdem die Situation der „lingua veneta“ im vorangegangenen Kapitel geschildert wurde, soll nun auf deren Besonderheiten eingegangen werden, um den Fokus noch stärker auf die venetischen Varietäten zu richten. Hierbei wird wiederum aus Platzgründen eine Auswahl getroffen.
Insgesamt können die „lingua veneta“ bzw. die venetischen Varietäten laut Zamboni (1974, 9) in fünf Gruppen unterteilt werden, wie Abbildung 5 veranschaulicht: 1) das Veneziano der Lagune und des Hinterlandes, 2) die Varietät „padovano-vicentino-polesano“, auch „veneto centrale“ genannt, 3) die Varietät „veronese“ bzw. „veneto occidentale“, 4) die Varietät „trevigiano-feltrino-bellunese“ (alto veneto) sowie letztlich 5) die ladinischen Varietäten, die auch in Teilen des Veneto gesprochen werden (vgl. Marcato/Ursini 1998, 9; Loporcaro 2013, 104).
Hinsichtlich der typischen Merkmale lassen sich Geckeler/Kattenbusch (1992, 29) anführen, die den Vokalismus der venetischen Varitäten als eher „konservativ“ beschreiben, wohingegen der Konsonantismus der „lingua veneta“ einen eindeutigen Bezug zu den norditalienischen Dialekten Italiens aufweist. Zentrale Charakteristika sind dabei einerseits die Vereinfachung der Geminaten zu einfachen Konsonanten, wie z.B. sòno ’sonno‘, mete ‚mette‘ und andererseits die Wahrung der unbetonten Auslautvokale (vgl. Geckeler/Kattenbusch 1992, 29f.; Loporcaro 2013, 104; Pigozzo Bernardi 2020, 410). Letztere entfallen vor allem nach /n, r/, wie beispielsweise can ‚cane‘, ndàr ‚andare‘ oder im Falle von /o/ nach /n/, wie in pien ‚pieno‘, wobei der Ausfall der Auslautvokale gegen Norden hin zunimmt8 (vgl. Loporcaro 2013, 105; Marcato 2007b, 184; Geckeler/Kattenbusch 1992, 29). Darüber hinaus ist insbesondere die Wiederholung der klitischen Pronomen9, z.B. ti ti mangi ‚tu mangi‘, die „Palatalisierung von lat. [k] und [g] vor [e] und [i] im Anlaut“ (Geckeler/Kattenbusch 1992, 25), z.B. θento ‚cento‘, ðóvene ‚giovane‘, sowie die Übereinstimmung der 3. Person Singular und Plural, z.B. el/i cama ‚chiama, chiamano‘ zu nennen (vgl. Loporcaro 2013, 104f.). Daneben zeichnen sowohl die Endung –emo der 1. Person Plural, z.B. dizemo ‚diciamo‘ als auch das Partizip Perfekt, das auf –esto endet, wie z.B. credesto ‚creduto‘ die „lingua veneta“ aus (vgl. Loporcaro 2013, 106). Schließlich ist der Buchstabe und Laut „l“ im Veneto – „l evanescente“ (Pigozzo Bernardi 2020, 41) genannt – sehr auffällig, da dieser entweder als e realisiert (gondoea ‚gondola‘) oder völlig verklingen bzw. schwinden (gondoe ‚gondole‘) kann (vgl. auch Mocellin 2018). In der Schrift ist das „l“ durch einen Querstrich gekennzeichnet Ł,ł, wodurch sich die eben genannten Beispiele folgenderweise verschriftlichen lassen: gondoła bzw. gondołe (vgl. Mocellin 2018; Pigozzo Bernardi 2020, 411f.). Grundsätzlich sind die Charakteristiken in den venetischen Varietäten nicht völlig identisch, sondern es bestehen Unterschiede (vgl. Loporcaro 2013, 104ff.).
In Bezug auf die anderen Varietäten Italiens verfügt das Veneto aus linguistischer Perspektive laut Frey (1962, 4f.) über eine Zwischenposition, da Verbindungen – sprachlicher Natur – sowohl zu den norditalienischen10 als auch zu den zentralen11 und südlichen Varietäten gezogen werden können. Aufgrund dessen wird auch häufig von einer Brücke gesprochen, die die Kommunikation zwischen Norditalien und der Toskana erleichtern und festigen soll, wobei dieser auch eine zentrale Rolle hinsichtlich der Verbreitung der Literatursprache zugeschrieben wird (vgl. Frey 1962, 5).
Festzuhalten ist nun, dass die „lingua veneta“ zwar einige Charakteristika aufweist, die teilweise auch anderen italienischen Varietäten zugeschrieben werden können, wobei diese Tatsache jedoch auf viele Sprachen und Dialekte zutrifft. Daneben zeigen sich auch mehrere Alleinstellungsmerkmale des Veneto. Entscheidend ist vielmehr die Kombination der Merkmale, da diese letztlich die Verwendbarkeit und den Wert einer Sprache oder Varietät verkörpern.
2.5. Dialekt und Schule
Im Folgenden wird nun das Verhältnis von Dialekt und Schule beleuchtet. Dabei ist nicht nur die Geschichte in Kürze zu betrachten, sondern es werden auch aktuelle Beispiele dargelegt und kritische Meinungen erfasst.
Betrachtet man die Entwicklung der Dialekte an Schulen seit der Einigung Italiens, so lassen sich einige Höhen und Tiefen erkennen (vgl. Marcato 2007b, 140). Bis Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigen sich schulische Programme im Rahmen einer Konfrontation zwischen Sprache und Dialekt zwar mit der Thematik, allerdings wird dabei die Geringachtung des vor allem mündlich verwendeten Dialekts verschwiegen (vgl. Marcato 2007b, 140). In den darauffolgenden Konzepten des Jahres 1905 wird der Dialekt aus dem schulischen Bereich ausgeschlossen, um zu verhindern, dass die Schüler dialektale Ausdrücke verinnerlichen und in die geschriebene Sprache übertragen, wodurch Fehler entstehen können (vgl. Marcato 2007b, 140; Lo Duca 2020, 74f.). 1923 kommt es schließlich mit der Schulreform zu einer scheinbar kleinen Annäherung zwischen Schule und Dialekt, indem Übersetzungsübungen von dialektalen Texten sowie geeignete Lehr- und Arbeitsbücher in den schulischen Bereich integriert werden, wobei lokale sprachliche Besonderheiten ausgeblendet sind (vgl. Marcato 2007b, 140; D'Alessio 2013, 96). Aufgrund des fehlenden Engagements auf Seiten der Lehrer, die nach wie vor an der negativ konnotierten Dialektvorstellung festhielten, war das Vorhaben jedoch wenig erfolgreich (vgl. Marcato 2007b, 140). Darüber hinaus fand in den letzten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg eine zunehmende Italianisierung innerhalb der Familie statt, wodurch die Zahl dialektsprechender Kinder abnahm und sich das Verhältnis von Sprache und Dialekt veränderte12 (vgl. Marcato 2007b, 140f.; Sobrero 2006b, 153f.). In den 60er-Jahren kamen schließlich Zweifel am italienischen Unterrichtssystem auf, da es als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurde und zu sehr auf schriftliche Texte fixiert war (vgl. Marcato 2007b, 141). Eine Verbesserung und Systematisierung sollte deshalb durch die „Dieci tesi dell’educazione linguistica del GISCEL“ (Marcato 2007b, 141) erreicht werden. In der scuola media zeigte sich diese Veränderung, indem der Dialekt nicht nur aus historischer und aktueller Sicht beleuchtet, sondern auch in interdisziplinärer Hinsicht in den Unterricht integriert wurde (vgl. Marcato 2007b, 141; Lo Duca 2020, 76). Aufgrund der didaktischen Veränderungen sowie der zunehmenden Italianisierung entstanden einige Experimente und Pilotprojekte hinsichtlich einer dialektalen Didaktik, die die abnehmenden dialektalen Kompetenzen fördern sollte (vgl. Marcato 2007b, 141). Dabei entstanden Fragen – wie z.B. welche Varietät unterrichtet werden sollte oder wie es um den Gebrauch von Minderheitensprachen an Schulen steht – die eine schnelle Lösung erforderten (vgl. Marcato 2007b, 141). Neben den Initiativen zur Erhaltung und Integration des Dialekts an Schulen und der damit verbundenen sprachlichen, kulturellen und sozialen Vielfalt weist Marcato (2007b, 140f.) daraufhin, dass auf eine sprachliche Bildung im Rahmen einer systematischen Didaktik nicht verzichtet werden sollte.
Auch wenn Schwierigkeiten mit der Einbindung des Dialekts an Schulen verbunden sind, bringt dieser doch auch einige Vorteile mit sich. Beispielsweise können die lokalen Varietäten in Gegenden mit stark ausgeprägtem Dialektgebrauch als Hilfs- und Kommunikationsmittel verwendet werden und dadurch eine Hinführung zum Gebrauch des Italienischen erleichtern (vgl. Sabatini 1979, 63f.; Lo Duca 2020, 76). Darüber hinaus können in der Auseinandersetzung mit den Dialekten sprachliche Vergleiche mit anderen Sprachen gezogen werden sowie situations- und kontextspezifische dialektale Ausdrucksweisen im Unterricht behandelt werden (vgl. Sabatini 1979, 65; Lo Duca 2020, 76f.). Die Beherrschung mehrer Sprachen und Lokalidome, die durchaus auch viele Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten teilen können, ist dabei als Vorteil in der Entwicklung eines Kindes zu betrachten, da das sprachliche Repertoire durch den vielseitigen Input bereichert wird13 (vgl. Sabatini 1979, 65; Lo Duca 2020, 77f.). Angesichts des Dialektreichtums Italiens und der damit einhergehenden Mehrsprachigkeit ist der mehrsprachige (dialektintegrierende) didaktische Ansatz sehr sinnvoll, was sich im Unterricht v. a. in Form von Erzählungen, Dramatisierungen, Interviews mit älteren Sprechern sowie in kontrastiven Sprachvergleichen äußert (vgl. Lo Duca 2020, 77). In diesen Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass nur wenige Lehrer die Überzeugung eines mehrsprachigen Unterrichts teilen, wohingegen die Mehrheit eine Integration des Dialekts im schulischen Bereich oftmals aufgrund mangelnder sprachlicher und dialektologischer Vorbildung ablehnte, wie es bereits Anfang des 20. Jh. der Fall war (s.o.) (vgl. Lo Duca 2020, 77f.).
Nachdem die Vorteile der Einbindung des Dialekts an Schulen geschildert wurden, soll nun ein Blick auf eine kritischere Sichtweise geworfen werden. Als ersten Aspekt lässt sich hierbei die Dialektsprecherschaft anführen, die sich zwar immer noch einer größeren Anzahl erfreut, deren Mehrheit jedoch vorwiegend ältere Generationen darstellen (vgl. Sabatini 2009, 129f.). Der Dialektgebrauch der Jugendlichen dient dagegen oftmals dazu, Freiheit oder Spontaneität sprachlich zu unterstreichen und wird teilweise auch in kriminellen Kreisen verwendet (vgl. Sabatini 2009, 130). Letzteres hat oftmals eine fortschreitende Abgrenzung bzw. Ghettoisierung zur Folge, wenn ausschließlich die lokale Varietät ganz bewusst als Alleinstellungsmerkmal verwendet wird, wobei der Dialektgebrauch dann eine sprachliche Benachteiligung darstellen kann, wie es z.B. häufig in Neapel der Fall ist (vgl. Lo Duca 2020, 79). Die Anforderungen an die Schulen, eine Mehrsprachigkeit durch Integration der lokalen Idiome zu fördern, ist in solch einem sozialen Umfeld äußerst schwierig, zeigt gleichzeitig aber auch deren enorme Bedeutung (vgl. Lo Duca 2020, 79f.). Des Weiteren unterliegen Dialekte einer ständigen Veränderung, die sich einerseits in den vielen lokalen Variationen und andererseits in der unweigerlichen Aufnahme neuer Lexeme und Formen aus anderen Sprachen äußert (vgl. Sabatini 2009, 130). Aufgrund dieser Eigenschaften sind Dialekte in ihrer Gesamtheit äußerst schwierig festzuhalten, sondern zeigen vielmehr Momentaufnahmen14 (vgl. Sabatini 2009, 130). Problematisch ist zudem, dass sich Dialekte auch innerhalb einer Region nicht einheitlich und beständig verhalten, sondern über sehr geringe Distanzen stark verändern (vgl. Sabatini 2009, 131). Einwanderer beherrschen dabei oftmals die lokale Varietät nicht oder nur unzureichend (vgl. Sabatini 2009, 131).
Aufgrund dieser Aspekte gestaltet sich der Dialektunterricht an Schulen schwierig, da die Unterrichtsmaterialien immer auf die jeweilige Varietät des Ortes abgestimmt und die Lehrer in vielen unterschiedlichen Idiomen nicht nur sprachliche, sondern auch didaktische Kompetenzen nachweisen müssten (vgl. Sabatini 2009, 131f.). Zudem kommen Kinder unterschiedlicher Gegenden mit jeweils eigenen lokalen Idiomen in der Schule zusammen, wodurch die Unterrichtsmaterialien auch diese Idiome einbeziehen müssen, was einen enormen Aufwand darstellen würde (vgl. Sabatini 2009, 131).
Sabatini (2009, 132ff.) ist jedoch nicht gänzlich gegen eine Integration des Dialekts an Schulen, sondern schlägt eine andere Herangehensweise vor, indem er im Rahmen einer historischen Perspektive die Vielfalt sowie die lokalen, regionalen und überregionalen Unterschiedlichkeiten der Idiome im Unterricht behandeln würde (vgl. auch Lo Duca 2020, 76). Darauf aufbauend könnte die Vielfalt linguistischer Möglichkeiten15 aufgezeigt werden, mithilfe derer man Gedanken, Wünsche etc. ausdrücken kann und überdies die zentralen literarischen Werke behandelt (vgl. Sabatini 2009, 132f.; Sabatini 1979, 65). Grundsätzlich ist Sabatini (2009, 134) jedoch der Ansicht, dass der Dialekt nicht unterrichtet werden sollte, wie das folgende Zitat veranschaulicht: „[…] esse s’impara, se proprio vogliamo impararlo, se ci piace davvero usarlo in determinate circonstanze e per determinate funzioni, ma non s’insegna.“
Demgegenüber soll nun ein aktuelles Beispiel – das Pilotprojekt der Academia de ła Bona Creansa – genannt werden, das sich dem Unterricht der „lingua veneta“ widmet. Im Rahmen dieses Projekts wurden bisher vier verschiedene Veranstaltungen informativer bzw. didaktischer Art entwickelt: (1) individuelle Informationsveranstaltungen bzw. -gespräche mit Schülern im Alter von 14-19 Jahren der weiterführenden Schulen, (2) einzelne Veranstaltungen mit Grundschulen16, die einen Freizeit- respektive Bildungsansatz hatten, (3) „Percorsi di Lingua Veneta“ in der Sekundarstufe I17, denen ein informativer, kognitiver sowie didaktischer Schwerpunkt zugrunde liegt und zuletzt (4) „Percorsi lingistico veneto“ ebenfalls in der Sekundarstufe I, der auf einem didaktischen Konzept basiert (s. Anhand 2, Frage 5). Die „Percorsi di Lingua Veneta“, zu denen es auch ein sieben-bändigen Unterrichtsmaterial18 gibt, wurden laut Mocellin (s. Anhang 2, Frage 5) in drei verschiedenen Schulen zweier Provinzen des Veneto mit insgesamt 13 Klassen durchgeführt. Letzterer Kurs (4) konnte aufgrund der Coronapandemie nicht stattfinden und wurde deshalb auf 2021 verschoben (vgl. Anhang 2, Frage 5). Alle Initiativen bzw. Veranstaltungen basieren dabei auf linguistischen, wissenschaftlichen sowie kulturellen Aspekten (s. Anhang 2, Frage 5). Der Unterricht der „Lingua Veneta“ war laut Mocellin (s. Anhang 2, Frage 14) für die Schüler verpflichtend, das das Lehrerkollegium diese als bildende Tätigkeiten klassifizierte. Trotz der Verpflichtung war das Interesse am Kurs jedoch hoch, was sich an der Aktivität der Schüler zeigte und zudem daran liegen könnte, dass das Venetische im Alltag sehr stark verwendet wird (s. Anhang 2, Frage 14, 16). Grundsätzlich plädiert Mocellin (s. Anhang 2, Frage 5) allerdings für ein freiwilliges Angebot19 der Sprachkurse. Darüber hinaus finden auch Weiterbildungen für Italienischlehrer in Bezug auf das sprachliche Erbe des Veneto statt, z.B. in Kroatien (s. Anhang 2, Frage 5).
Ein Lösungsansatz hinsichtlich der vielfältigen lokalen Variationen liefert die Academia de ła Bona Creansa, indem die Unterrichtsmaterialien in der überregionalen Varietät20 verfasst sind, wohingegen im Unterricht, v.a. in den Erwachsenenkursen, auch kleine Texte spezifischer lokaler Idiome behandelt werden. Darüber hinaus werden auch Vergleiche interlinguistischer sowie intralinguistischer Art – „tragen macrostandard e microstandard“ (Anhang 2, Frage 15) gezogen.
Festzuhalten bleibt nun, dass das Verhältnis von Dialekt und Schule mit einigen Höhen und Tiefen gekennzeichnet ist und eine Einbindung des Dialekts in den Unterricht einige Problematiken nach sich zieht. Eine Auseinandersetzung mit den Lokalsprachen im Unterricht ist jedoch aufgrund der dialektalen Vielfalt und damit einhergehenden Mehrsprachigkeit in Italien notwendig, wie bereits Ascoli forderte (vgl. Marcato 2007b, 140). Diese sollte allerdings in systematischer, gezielter Weise erfolgen, wobei eine linguistische sowie didaktische Bildung der Lehrer und geeignete Unterrichtsmaterialien notwendig sind (s.o.). Diesbezüglich stellt das Pilotprojekt der Academia de ła Bona Creansa ein innovatives sowie durchdachtes Konzept dar.
2.6. L’Academia de ła Bona Creansa
Zum Ende des theoretischen Rahmens soll nachfolgend die Academia de ła Bona Creansa sowie deren Tätigkeiten, Initiativen und Ziele erläutert werden, da diese Bachelorarbeit ohne eine enge Kooperation mit der Akademie, speziell im Hinblick auf die Daten des empirischen Teils, nicht möglich gewesen wäre.
Bei der Academia de ła Bona Creansa handelt es sich um eine private Institution, die sich dem Erhalt und der Förderung der Sprache und Kultur des Veneto widmet, wobei insbesondere das diesbezügliche Studium, die Lehre sowie die Forschung gefördert werden sollen (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021; s. Anhang 2, Frage 15). Dott. Alessandro Mocellin21 zufolge (s. Anhang 2, Frage 1) konzentriert sich die Akademie in diesem Sinne v.a. auf wissenschaftlich-linguistische und sprachdidaktische Aspekte sowie deren Verbreitung und Umsetzung. Die kulturellen und wissenschaftlichen Aufgaben der Academia werden von sechs verschiedenen Fachbereichen übernommen, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021b). Jedes Ressort untersteht hierbei einem Direktor, der die jeweiligen kulturellen Aktivitäten leitet (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021b). Der Fachbereich, der sich mit der „lingua veneta“ beschäftigt, „L’Academia de ła Łengua Veneta“ (Academia de ła Bona Creansa 2021b) genannt, ist der erste und ergebnisreichste Sektor. Unter Berücksichtigung wissenschaftlicher, didaktischer, institutioneller und werbetechnischer Aspekte wurden in den letzten sechs Jahren unterschiedliche Kurse, Veranstaltungen und Tagungen organisiert und besucht sowie Publikationen verfasst und veröffentlicht (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021b; Academia de ła Bona Creansa 2021c; s. Anhang 2, Frage 1).
Der Fokus des zweiten Bereichs „L’Academia de ła Storia Veneta“ (Academia de ła Bona Creansa 2021b) liegt dagegen auf der Geschichtsbetrachtung des Veneto und seiner Bewohner. Auch dieses Ressort hat verschiedene Projekte und Seminare, wie z.B. „Veneti, chi siete?“, organisiert und an der Erarbeitung der Unterrichtsmaterialien „Percorsi di Lingua Veneta“ für Schulen mitgewirkt (Academia de ła Bona Creansa 2021d). Die Ausarbeitung geschichtsspezifischer Unterrichtsmaterialien wird auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil dieses Fachbereichs bleiben (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021d).
Als dritter Sektor ist die „Academia Veneta de’l Derito“ (Academia de ła Bona Creansa 2021e) zu nennen, die sich mit den Rechtsbeziehungen der Bewohner des Veneto auseinandersetzt, wobei sie sich diesen aus rechtshistorischer und rechtsphilosophischer Sicht nähert. Daneben liegt ein besonderes Anliegen in der Vermittlung der Rechte mittels der „lingua veneta“, indem wichtige juristische Dokumente in die „lingua veneta“ übersetzt werden, wie beispielsweise die allgemeine Erklärung der Menschenrechte (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021e).
Des Weiteren gibt es einen Fachbereich, sog. „L’Academia Veneta de l’Informàtega“ (Academia de ła Bona Creansa 2021f), der sich den IT-Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Sprache und Kultur des Veneto widmet. Hierbei spielen insbesondere Programme, wie Libre Office oder Tastatur-Softwareprogramme eine Rolle, da hierbei bereits Übersetzungen in die „lingua veneta“ realisiert wurden, um den schriftlichen Umgang mit der Varietät zu erleichtern (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021f). Darüber hinaus werden auch soziale Medien wie Facebook, YouTube, Telegramm oder Instagram zur Verbreitung genutzt (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021f).
Das fünfte Ressort – „L’Academia Veneta de ła Comunegasion“ (Academia de ła Bona Creansa 2021g) – beschäftigt sich mit der für das Veneto typischen Art und Weise der Kommunikation unter Berücksichtigung verbaler, visueller, gestischer etc. Besonderheiten der „lingua veneta“. In diesem Zusammenhang werden auch Kurse organisiert, die die Kommunikation von unterschiedlichen Seiten beleuchten, z.B. bezüglich der Mehrsprachigkeit oder der Sprechens vor Publikum (vgl. Academia de ła Bona Creansa 2021g).
Der letzte Bereich „L’Academia Veneta de l’Arte“ (Academia de ła Bona Creansa 2021h) untersucht schließlich den künstlerischen und konstruktiven Stil des sprachlichen Systems der „lingua veneta“, wobei Schemata hinsichtlich sprachlicher Komposition und Ästhetik (Rhetorik) miteinbezogen werden.
Das Hauptziel der Akademie, das durch die enge Interaktion der einzelnen Sektoren erreicht werden soll, besteht darin, die venetische Kultur in ihrer Gesamtheit zu bewahren (s. Anhang 2, Frage 2). Sowohl die Entwicklung geeigneter Unterrichtsmaterialien, des Pilotprojekts (bereits in Kap. 2.5 genannt), der Sprachkurs für Erwachsene (näher erläutert in Kap. 3.2) als auch die Anstrengungen hinsichtlich der Fortbildung von Italienischlehrern22 zum sprachlichen Erbe des Veneto können als wichtige Etappen in Richtung der Bewahrung der venetischen Kultur betrachtet werden (s. Anhang 2, Frage 5). Darüber hinaus bestehen Kooperationen mit Universitäten, Schulen23 und Verlagen, die der Unterstützung des Pilotprojekts sowie der Ausarbeitung venetischer Literatur und Unterrichtsmaterialien dienen (s. Anhang 2, Frage 5). Um das Ansehen der „lingua veneta“ in Bezug auf juristische, soziale, kulturelle und wissenschaftliche Aspekte zu verbessern, besteht ein weiteres Ziel der Akademie in der Eingliederung des Venetischen in das wissenschaftliche bzw. universitäre Feld (s. Anhang 2, Frage 11). Dies soll laut Dott. Mocellin (s. Anhang 2, Frage 11) zufolge letztendlich dazu beitragen, die „lingua veneta“ als Minderheitensprache anzuerkennen.
Zukünftige Projekte der Akademie wie die Etablierung eines Onlineunterrichts und einiger permanent online verfügbarer Tools stellen weitere Entwicklungsstufen hinsichtlich des Hauptziels dar (s. Anhang 2, Frage 3). Da die Sprecher der „lingua veneta“ auf der ganzen Welt zu finden sind, ist die Onlinepräsenz – abgesehen von der enormen Präsenz der Medien heutzutage, nicht nur im Hinblick auf Sprachen – äußerst wichtig, um eine größere Reichweite zu erlangen (s. Anhang 2, Frage 3). In diesem Zusammenhang sind auch kostenlose Onlinekurse für Ausländer (Anfängerkurse), die auf der Website memrise.com zugänglich sind, zu erwähnen, wobei dieses Angebot in Zukunft in Form von Videomaterialien und weiteren Onlinekursen weiter ausgebaut werden soll (s. Anhang 2, Frage 7; Memrise o.J.). Die damit verbundene Internationalisierung der Perspektive stellt gemäß Mocellin (s. Anhang 2, Frage 9) einen fundamentalen Anspruch der Akademie dar. Diese umfasst dabei nicht nur in didaktischer Hinsicht linguistische Vergleiche, z.B. zwischen zwei Sprachen, sondern auch die Teilnahme an internationalen Veranstaltungen, wie beispielsweise am ersten internationalen Seminar zur brasilianischen Varietät der „lingua veneta“ oder an den „Convegni Internazionli sulla Lingua Veneta“ (Anhang 2, Frage 9).
Zusammengefasst kann somit gesagt werden, dass sich die Academia de ła Bona Creansa in sehr vielseitiger Richtung orientiert und versucht, die Sprache und Kultur des Veneto zeitgemäß und auf freiwilliger Basis interessierten Menschen nahe zu bringen.
3. Empirischer Teil
3.1. Fragestellung
Nachdem die theoretischen Aspekte im Einzelnen dargestellt wurden, sollen nachfolgend die Daten der Fragebögen und des Interviews, die im Rahmen dieser Arbeit gesammelt wurden, ausgewertet werden. Die folgende Analyse beschäftigt sich mit dem Stellenwert des Dialekts im Veneto hinsichtlich einer Integration in das Bildungswesen. Während in Kap. 2.5 bereits das Verhältnis von Schule und Dialekt sowie die damit verbundenen Chancen und Schwierigkeiten erläutert wurden, zeigt die Academia de ła Bona Creansa unter anderem mit der Erarbeitung des Pilotprojekts sowie verschiedener informativer und didaktischer Veranstaltungen (s. Kap. 2.6) neue Ansätze hinsichtlich der Einbindung des Dialekts in das Bildungswesen. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte, der Situation und der Besonderheiten der „lingua veneta“ (s. Kap. 2.3, 2.4) werden die Ergebnisse der Fragebögen analysiert und im Anschluss einer kritischen Diskussion unterzogen. Sowohl in der Auswertung als auch in der Diskussion werden Bezüge zum Interview mit Herrn Dott. Alessandro Mocellin hergestellt. In der abschließenden Diskussion der Ergebnisse sollen neben der Kernfrage der Arbeit (1) „Inwiefern stellt das staatliche Bildungswesen einen Indikator für den Stellenwert des Dialekts dar?“ auch folgende Fragen beantwortet und erörtert werden, wobei partiell auch auf die Rolle des Staats eingegangen wird: (2) Welche Rolle kommt der „lingua veneta“ gegenwärtig zu?; (3) Inwiefern verändert sich die Einstellung gegenüber dem Dialekt im Veneto durch eine Integration in das Bildungswesen? und schließlich (4) Welche Rolle spielen Dialekte bzw. Lokalsprachen im schulischen Bereich in der heutigen Zeit? Um eine bessere Vorstellung der Fallstudie zu bekommen, wird im anschließenden Kapitel das Design sowie das methodische Vorgehen detailliert beschrieben.
3.2. Design und Methodik
Für die in dieser Fallstudie erhobenen Daten wurde sowohl ein qualitatives wie auch quantitatives methodisches Vorgehen gewählt, um einerseits reichhaltige Daten zu gewinnen und diese andererseits mittels repräsentativer Stichproben abzugleichen, um dadurch ansatzweise Schlüsse auf eine Generalisierbarkeit ziehen zu können (vgl. auch Albert/Marx 2014, 12f.).
Die qualitative Methode wurde in Form eines gezielten, schriftlichen und nicht-standardisierten Einzelinterviews mit Herrn Dott. Alessandro Mocellin, dem Präsidenten der Academia de ła Bona Creansa, realisiert. Das Interview (s. Anhang 1) umfasst insgesamt 16 offene Fragen in italienischer Sprache, die Herrn Dott. Mocellin per Mail gesendet wurden und die dieser ebenfalls in schriftlicher Form beantwortet und per Mail zurückgesendet hat. Zuvor wurde das Interview sowie die Fragen mit Herrn Dott. Mocellin besprochen und auch während der Beantwortung waren Rückfragen jederzeit möglich.
Für das quantitative methodische Vorgehen wurde darüber hinaus ein Fragebogen über die Website Verba Alpina24 erstellt, der über folgenden Link zugänglich ist. Dieser umfasste insgesamt 26 Fragen, von denen 12 aus geschlossenen Fragen mit vorgegebenen Antwortkategorien zum Ankreuzen bestanden und 14 in Form von offenen Fragen formuliert wurden (s. Anhang 1). Bei zwei (Frage 8 und Frage 14) der 12 geschlossenen Fragen gab es zudem einen vierte Antwortmöglichkeit, die es den Teilnehmern ermöglichte, eine eigene Antwort auszuformulieren, falls die vorgegebenen Kategorien nicht zutreffen. Die offenen Fragen folgten meistens auf eine geschlossene Frage mit vorgegebener Antwortkategorie. Auf diese Weise sollten die Teilnehmer die Antwort der vorangegangenen Frage in eigenen Worten präzisieren bzw. begründen. Zu Beginn des Fragebogens wurde den Teilnehmern im Rahmen einer kleinen Einführung die Intention der Umfrage erklärt und darauf hingewiesen, dass die daraus hervorgehenden Daten Teil dieser Bachelorarbeit sein werden, die im Rahmen des Italianistikstudiums an der LMU München verfasst wird. Darüber hinaus enthielt der Fragebogen eine kurz Aufklärung hinsichtlich der anonymen Datenverarbeitung, sodass der Datenschutz der Teilnehmer stets gewährleistet war. Letztlich wurden die Teilnehmer in der Einführung darum gebeten, die Fragen ernsthaft und spontan zu beantworten, um Störfaktoren, wie z.B. eine Verfälschung der Daten durch zu langes Nachdenken, zu reduzieren. Der Fragebogen ist über einen Link zugänglich, der den Teilnehmern von der Academia de ła Bona Creansa per Mail zugesendet wurde, mit der Bitte, diesen innerhalb von zwei Wochen zu beantworten. Das Design der Querschnittstudie wurde in diesem Fall aufgrund der schnellen und ökonomischen Durchführungsmöglichkeit gewählt (vgl. auch Albert/Marx 2014, 36).
Um eine möglichst repräsentative Auswahl an Teilnehmern zu bekommen, wurde der Fragebogen ausschließlich an Lehrer der „lingua veneta“ sowie an Personen geschickt, die an den Erwachsenenkursen der „lingua veneta“ (Corso de Veneto) der Academia de ła Bona Creansa teilgenommen haben. Somit ergab sich eine Teilnehmerzahl von insgesamt 109 Personen (79 Männer und 30 Frauen) im Alter von 21-80 Jahren (Mittelwert: 48,61). Die Teilnehmer mussten angeben welchen der Erwachsenenkurse (A oder B) sie besucht haben, um „falsche Teilnehmer“ ausschließen und so die interne Validität wahren zu können. Diese Frage fungierte sozusagen als Kontrollvariable (vgl. Albert/Marx 2014, 40f.). Von den ursprünglich 112 Teilnehmern wurden insgesamt drei ausgeschlossen: zwei aufgrund der fehlenden Teilnahme an den Sprachkursen (TN 1584, TN 1646)25 und ein weiterer aufgrund der zu späten Beantwortung der Fragen (TN 1829). Von den analysierten 109 Personen haben alle entweder den Kurs A oder B oder auch beide Kurse besucht. Darüber hinaus sprechen 84,40% der Teilnehmer mindestens eine Lokalsprache.
Aufgrund der Coronapandemie musste der ursprüngliche Ansatz, Schüler, die an dem Pilotprojekt der Academia de ła Bona Creansa (s. Kap. 2.5) teilgenommen haben, zu befragen, verworfen werden. Deshalb wurden die Teilnehmer der Erwachsenensprachkurse als Stichproben herangezogen. Die gut überlegte Auswahl dieser Probanden sollte als Kontrollvariable die externe Validität der Umfrage und Auswertung sichern. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich das sprachdidaktische System der Erwachsenenkurse sehr stark von dem der Schulen unterscheidet, da in der Erwachsenenbildung eine gewisse passive oder mündliche Sprachkompetenz vorausgesetzt wird (s. Anhang 2, Frage 6). Die beiden Niveaus (A und B) des „Corso de Veneto“, die die Teilnehmer der Umfrage absolviert haben, beinhalten nicht nur den Erwerb der „lingua veneta“, sondern auch Einheiten hinsichtlich der globalen Sprecherverteilung, der Varietäten sowie des Korpus (s. Anhang 2, Frage 6). Darüber hinaus wird in diesem Unterricht auch ein Blick auf die Diachronie und auf den Status der „lingua veneta“ geworfen (s. Anhang 2, Frage 6). Die didaktische Vorgehensweise ist dabei laut Mocellin (s. Anhang 2, Frage 6) in Bezug auf phonologische, morphologische, lexikalische, orthographische und syntaktische Inhalte mit anderen europäischen Sprachen vergleichbar, insbesondere im Hinblick auf Latein, Italienisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Griechisch und Deutsch, da zwischen diesen Sprachen und dem Venetischen durchaus Ähnlichkeiten zu beobachten sind. Überdies verwendet die Akademie in ihren Sprachkursen eine kontrastive Methode, indem die spezifischen Unterschiede zwischen der „lingua veneta“ und der jeweiligen Referenzsprache (im vorliegenden Fall Italienisch) aufgezeigt und geübt werden (s. Anhang 2, Frage 6).
Die Ergebnisse dieser Fallstudie wurden mithilfe einer Excel-Tabelle ausgewertet und graphisch dargestellt. Dabei wurden die vorgegebenen Antwortkategorien der geschlossenen Fragen mit Zahlen versehen (z.B. 1 für männlich, 2 für weiblich, 3 für divers), wodurch die Kodierung der Daten erleichtert werden sollte. Das Vorgehen nach einem festen Schema sollte zudem die Objektivität der Auswertung sichern (vgl. Albert/Marx 2014, 30). Die Antworten der offenen Fragen wurden dagegen stichpunktartig zusammengefasst und daraufhin mittels geeigneter Schlagworte, wie z.B. (1) lingua Madre, (2) identità/Identitätsgefühl/Heimatgefühl/Verbundenheit/Emotionen, (3) Kultur und Tradition, (4) Sprache/Region gebündelt, anhand von Diagrammen graphisch dargestellt und mit ausgewählten Beispielen belegt. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass es mitunter zu Überschneidungen in den Antworten gekommen ist, da beispielsweise zwei Schlagworte genannt wurden. Um keine subjektive Auswahl zu treffen, wurden die Überschneidungen mitgezählt. In letzterem Falle ist die Objektivität schwieriger zu sichern, da offene Fragen einerseits die individuelle Ansicht der Teilnehmer widerspiegeln und andererseits einen größeren Spielraum für subjektive Einflüsse hinsichtlich der Datenauswertung bieten. Durch eine transparente Darlegung der Schlagworte, die aufgrund ihrer Häufigkeit gewählt wurden, sollte dieses Problem weitestgehend eingegrenzt werden.
Im Folgenden werden die analysierten Daten der Fragebögen unter Berücksichtigung der Leitfragen genauer dargestellt und erläutert. Dabei sollen stets Belege aus dem Interview mit Herrn Dott. Alessandro Mocellin einfließen.
3.3. Auswertung der Daten
3.3.1. Gegenwärtige Rolle der „lingua veneta“
Die ausgewerteten Daten der Fragebögen zeigen, dass das Veneto und seine Varietät grundsätzlich einen hohen Stellenwert in der Bevölkerung einnehmen, wie im Verlauf der Arbeit bereits angesprochen wurde. Um die gegenwärtige Rolle der „lingua veneta“ nachvollziehen zu können, sind drei Fragen der Umfrage von besonderem Interesse, die nun näher beschrieben werden.
Vorab wird jedoch ein Blick auf Frage 8 der Umfrage geworfen, die die Wahrnehmung des Terminus dialetto zum Gegenstand hat (s. Abb. 6). Daraus geht hervor, dass die Mehrheit (insgesamt 75 der 109 Befragten) den Begriff dialetto als negativ empfindet, wohingegen nur 19 Teilnehmer damit eine positive Wahrnehmung verbinden. Für einen neutralen Eindruck entschieden sich 6 Personen. Darüber hinaus nutzten die restlichen 9 Teilnehmer die Möglichkeit, eine eigene Antwort zu formulieren, wobei die meisten Antworten im weiteren Sinne auch einer negativen Wahrnehmung zuzuordnen sind. Folgendes Beispiel repräsentiert sehr gut die genannten Ansichten:
1) Una volta era normale parlare di dialetto veneto, ma ora direi che il Veneto è un dialetto è diventato modo per sminuire l’importanza (TN 1757, Alter: 56, w.)
Das Beispiel zeigt deutlich, dass die Person den Begriff dialetto unpassend findet, da sie der Meinung ist, dass dieser Terminus dem Venetischen nicht gerecht wird. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Schulpolitik des Staats zu verweisen (s. auch Kap. 2.5), infolge derer im 20. Jh. die Lokalsprachen und Dialekte zugunsten des Italienischen aus dem schulischen Bereich verdrängt wurden und dadurch auch eine Abwertung erfuhren (s. Anhang 2, Frage 13). Teilweise hat man auch innerhalb der Familie verstärkt Italienisch gesprochen, um den Kindern das Lernen des Italienischen zu erleichtern, wie bereits in Kap. 2.5 angesprochen wurde.
Auf die Schwierigkeiten hinsichtlich der Klassifizierung von Sprache und Dialekt wurde bereits in Kap. 2.3 hingewiesen. Deshalb vermeidet diese Arbeit den Begriff Dialekt bzw. dialetto in Zusammenhang mit dem Venetischen, um negativen Konnotationen zu entgehen. In engem Zusammenhang steht damit auch das Prestige, das je nach Bezeichnung höher (lingua) oder niedriger (dialetto) ausfällt und im weiteren Verlauf der Datenauswertung thematisiert wird.
Im folgenden Diagramm, in dem die Verteilung der Antworten bezüglich der Frage 9 des Fragebogens „Che cosa significa per Lei il veneto?“ abgebildet ist, überwiegen Verbundenheits- und Identitätsgefühle:
Insgesamt wurde il veneto 47-mal mit Schlagworten assoziiert, die ein Identitäts-, Verbundenheits- oder Heimatgefühl ausdrücken. Unter den Antworten finden sich z.B.:
2) fattore identitario (TN 1558, Alter: 31, w.)26
3) casa, […], orgoglio (TN 1570, Alter: 30, w.)
4) la mia terra, le mie radici, la mia storia (TN 1599, Alter: 45, m.)
Daneben ist auch äußerst häufig die Bezeichnung als lingua madre (39-mal) zu finden, gefolgt von Assoziationen mit der Sprache und Region (Anzahl: 28). Dabei fällt auf, dass die Teilnehmer selbst das Venetische immer als Sprache bezeichnen. Dies könnte einerseits daran liegen, dass im Fragebogen anstelle von dialetto die Begriffe „lingue locali“ und „lingua veneta“ verwendet wurden. Andererseits könnte auch die zuvor beschriebene negative Einstellung der Teilnehmer gegenüber dem Begriff dialetto eine Rolle spielen (s. Abb. 6).
5) la mia lingua madre (TN 1710, Alter: 48, w.)
6) la lingua che parlano gli abitanti del Veneto e delle varie aree venetofone del mondo (TN 1613, Alter: 31, m.)
7) […] un patrimonio storico […] (TN 1562, Alter: 28, m.)
Das Beispiel 7 wie auch die Abb. 7 veranschaulichen, dass schließlich auch Kultur- und Traditionsbezüge (Anzahl: 15) eine Rolle spielen. Grundsätzlich ist der emotionale Bezug in den Antworten auffällig. Dies spiegelt auch die folgende Grafik (Abb. 8) wider, die der Frage 23 des Fragebogens „Qual è il Suo particulare atteggiamento verso il veneto?“ gewidmet ist.
Aus der Datenauswertung (Abb. 8) geht hervor, dass die Einstellung gegenüber der venetischen Varietät durchweg positiver Natur ist. Die Beispiele 8-10 dienen der detaillierteren Erklärung von Abb. 8 und veranschaulichen, dass neben positiven Adjektiven (Anzahl: 9) auch häufig Empfindungen wie Stolz (Anzahl: 13) und Liebe bzw. Leidenschaft oder Zuneigung (Anzahl: 23) genannt wurden:
8) favorevole (TN 1569, Alter: 49, m.)
9) Il gonfalone di San Marco viaggia sempre con me (TN 1728, Alter: 29, m.) – (orgoglio)
10) Amore incondizionato (TN 1595, Alter: 48, m.)
Unter den Aussagen, die unter dem Begriff Sonstiges in Abb. 8 (Anzahl: 9) zusammengefasst sind, finden sich Angaben hinsichtlich eines allgemeinen oder wissenschaftlichen Interesses an der Thematik oder schlichtweg Neugier.
Ein besonderes Anliegen scheint jedoch der Schutz und die Verbreitung der „lingua veneta“ sowie deren aktive, kommunikative Verwendung zu sein, da Antworten, die diesen Schlagworten entsprechen, am häufigsten zu finden sind (Anzahl: 55). Dabei könnte auch dahingehend ein Zusammenhang mit dem anfangs erwähnten Prestige bestehen, dass mittels des Schutzes und der Verbreitung der „lingua veneta“, deren Ansehen gefördert wird. Zur Veranschaulichung der diesbezüglichen Antworten dienen die beiden folgenden Beispiele:
11) […] divulgare lingua e cultura veneta […] (TN 1570, Alter: 30, w.)
12) Lo parlo sempre e ovunque (TN 1696, Alter: 30, w.)
Um den eben genannten Sachverhalt in einen größeren Kontext zu setzen, ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Dialekt bzw. Lokalsprache und Standardsprache bezüglich der Ausdrucksmöglichkeiten von Bedeutung. In der Umfrage zielte Frage 26 darauf ab, deren Daten in Abb. 9 dargestellt sind:
Auf die Frage „Cosa ne pensa della capacità di esprimersi in una lingua locale rispetto alla lingua standard?“ wird insbesondere eine einfachere, direktere Ausdrucksmöglichkeit (insgesamt 51-mal) als Vorteil und gleichzeitig Besonderheit der Lokalsprache genannt (s. Abb. 9). Deutlich wird dies beispielsweise an folgenden Aussagen:
13) Mi esprimo meglio in Veneto, mi sento più libero e meno legato, nei pensieri e nel linguaggio (TN 1566, Alter: 38, m.)
14) […] le lingue locali sono ricche, uniche e più personali, più vicine alla gente (TN 1570, Alter: 30, w.)
Die Beispiele 13 und 14 zeigen, dass mit der „lingua veneta“ bzw. Lokalsprachen allgemein eine freiere, persönlichere Kommunikation verbunden wird, die viele Anzeichen der Nähesprache (vgl. Koch/Oesterreicher 1985, 21ff.) aufweist.
Des Weiteren sind – wie bereits in den zuvor dargestellten Diagrammen – Emotionen (Anzahl: 24, s. Abb. 9) sowie in geringerem Maße Identifikationsgefühle (Anzahl: 11) von Bedeutung. Aus den Daten geht hervor, dass die Teilnehmer zum Ausdruck von Emotionen die Lokalsprache gegenüber der Standardsprache vorziehen (s. Beispiel 15). Bezüglich der Identifikationsgefühle lassen die Äußerungen starkes Zugehörigkeitsempfinden gegenüber dem Veneto erkennen (s. Beispiel 16). Darüber hinaus wird die Beherrschung von Lokalsprachen auch als sprachlicher Vorteil (Anzahl: 13, s. Abb. 9, Beispiel 17) gesehen, da dadurch nicht nur die sprachliche Vielfalt erweitert, sondern auch der Geist angeregt wird. Diesbezüglich ist ferner der besondere Wortschatz (Anzahl: 7, Beispiel 18) der Lokalsprachen zu nennen, der sich in Nuancen und Feinheiten äußert, die kaum in die Standardsprache zu übersetzen sind. Die eben genannten Aspekte werden durch die anschließenden Belege veranschaulicht:
15) La lingua madre è quella che fa parlare il cuore […]. La lingua standard l’ho dovuto imparare per praticità e convenienza. (TN 1705, Alter: 36, m.)
16) Caratterizza le nostre origini con una identità precisa (TN 1777, Alter: 64, m.)
17) È una ricchezz[a] possedere una capacità in più (TN 1574, Alter: 42, m.)
18) Ha una ricchezza di sfumature che non saprei esprimere con una lingua standard, si pensi solo al termine „stracaganasa“27 (TN 1593, Alter: 45, w.)
Im Gegensatz zu den ersten Diagrammen, deren Daten eine durchweg positive, wenn auch emotional aufgeladene Bilanz zeigten, sind bei dieser Frage auch einzelne Antworten zu finden, die auf mögliche Defizite bzw. Beschränkungen der „lingua veneta“ hinweisen, da beispielsweise spezifische Wörter im venetischen Wortschatz fehlen oder die Lokalsprache nicht in vollem Umfang beherrscht wird, wobei deren Gebrauch v.a. im familiären Bereich (Anzahl: 5, s. Abb. 9) stark ausgeprägt ist:
19) […] siamo stati abituati a esprimere concetti in italiano. No conosciamo l’uso completo del Veneto ma solo la parte familiare e colloquiale (TN 1563, Alter: 66, m.)
Insgesamt lässt sich sagen, dass die „lingua veneta“ eine zentrale Rolle im Veneto spielt. Obwohl sie gesetzlich nicht als Minderheitensprache anerkannt ist (s. Kap. 2.3) bevorzugen die Teilnehmer eine Bezeichnung als „lingua veneta“, da mit dem Terminus dialetto eine sehr negative Wahrnehmung assoziiert wird. Sie dient ferner dem Ausdruck von Emotionen, schafft eine Vertrauensbasis in der Kommunikation und sie ist für viele Teilnehmer der Umfrage ein wichtiger Identifikationsfaktor. Beschränkungen hinsichtlich des teils fehlenden Vokabulars (z.B. neuer wissenschaftlicher Wortschatz) und der umfassenden Kompetenz des Venetischen wurden von den Befragten ebenfalls thematisiert und könnten durch eine mögliche Integration in das Bildungswesen verbessert werden.
3.3.2. Integration des Dialekts in das Bildungswesen
Nachdem die gegenwärtige Situation der „lingua veneta“ mittels der ausgewerteten Daten der Umfrage erläutert wurde, sollen nun die Fragen und Antworten hinsichtlich einer Integration des Dialekts in das Bildungswesen näher betrachtet werden. Dabei werden sowohl diesbezügliche Standpunkte als auch mögliche Vor- und Nachteile der Lokalsprachen bzw. Dialekte konkretisiert.
Wie in Kap. 2.5 bereits erwähnt, ist eine Auseinandersetzung mit den lokalen Varietäten im Unterricht aufgrund der großen dialektalen Vielfalt Italiens anzustreben. Auch in der Umfrage sind die Teilnehmer danach gefragt worden, ob das Venetische bzw. Lokalsprachen an Schulen unterrichtet oder verwendet werden sollten (Fragen 12-14). Die Daten zeigen, dass die Befragten einem Dialekt- bzw. Lokalsprachenunterricht äußerst positiv gegenüberstehen, wie in Abb. 10 graphisch dargestellt ist. Während keiner der Teilnehmer die Frage negierte, befürworteten 106 Personen einen Unterricht oder eine Verwendung der Lokalsprachen28 an Schulen und drei Befragte (TN 1655, Alter: 65, w.; TN 1702, Alter: 61, w.; TN 1757, Alter: 56, w.) formulierten eine eigene Stellungnahme (s. Abb. 10 altrosa), wobei diese auch allesamt einen Unterricht der lokalen Varietäten befürworteten. Lediglich TN 1757 (Alter: 56, w.) merkte an, dass der Lokalsprachenunterricht eventuell außerhalb der Lehrplanzeit stattfinden sollte, um den Fremdsprachenunterricht nicht zu minimieren. Ein ähnliches Resultat im Hinblick auf den Dialektunterricht zeigt die Umfrage des Jahres 2016 von Demos (2016), in der 35% der Befragten eine Einbindung der Lokalsprache in den Unterricht befürworten, wohingegen 63% die Vermittlung im familiären Bereich sehen. Dabei ist anzumerken, dass sich gerade diejenigen für ein Erlernen im familiären Umfeld aussprechen, die die lokale Varietät äußerst selten innerhalb der Familie gebrauchen, während die aktiven Sprecher einen Unterricht bejahen (vgl. Demos 2016). Im Vergleich zu den hier vorliegenden Daten fällt die Affirmation der von Demos erhobenen Daten geringer aus, wobei die Teilnehmerauswahl und -anzahl hierbei ausschlaggebend sein könnte. Dies wird unter anderem Gegenstand des Diskussionskapitels (s. 3.5) sein.
Einen Querschnitt der positiven Resonanz auf einen Unterricht der lokalen Varietäten bildet das folgende Diagramm ab:
Aus Abb. 11 geht hervor, dass insbesondere der Schutz der „lingua veneta“ bzw. der Lokalsprachen allgemein im Sinne eines Kulturguts als Begründung der Befürwortung (insgesamt 68-mal) genannt wurde, wie zur Verdeutlichung auch folgende Beispiele zeigen:
20) La lingua veneta è parte di noi e della nostra storia. Non insegnarla è come tagliare le radici di un albero. (TN 1637, Alter: 45, m.)
21) Lo ritengo un bene prezioso per non perdere la nos[t]ra identità, la nostra cultura e le nostre tradizioni. (TN 1665, Alter: 72, w.)
Obwohl Beispiel 20 etwas extrem formuliert ist, zeigt die Metapher doch deutlich die starke Verbundenheit, die die Sprecher gegenüber der „lingua veneta“ haben. Zudem wird in den Antworten 20 und 21 deutlich, dass das Venetische fester Bestandteil der Kultur und Gesellschaft ist und deshalb schützenswert.
An zweiter Stelle lassen sich Belege anführen, die der Kennzeichnung als Bewusstseinsentwicklung für Unterschiede zwischen Sprachen zuzuordnen waren (s. Abb. 11, Anzahl: 27), wie z.B.:
22) […] si sviluppa la capacità di apprendimento di sistemi linguistici nuovi, si sviluppano meglio le capacità cognitive e di ragionamento (TN 1544, Alter: 26, w.)
23) È necessario insegnare ad essere cosciente delle distinzione dei patrimoni linguistici che si possiede. Divisi e studiati seriamente ne gioveranno entrambi. (TN 1681, Alter: 31, m.)
Die Beispiele 22 und 23 zeigen deutlich, dass die Beherrschung mehrerer Sprachen und Varietäten als Vorteil gesehen wird, da damit eine Anregung des Intellekts einhergeht und das Bewusstsein für die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Sprachen geschärft wird. Dies erleichtert nicht nur den Wechsel zwischen Sprachen und Varietäten (Codeswitching), sondern auch das Erlernen neuer Sprachen, z.B. aufgrund ähnlicher Satzstrukturen oder Internationalismen. Dies geht auch aus dem Interview mit Herrn Dott. Alessandro Mocellin (s. Anhang 2, Frage 4) hervor, indem dieser betont, dass sich die „lingua veneta“ sehr gut für den Vergleich mit benachbarten Sprachen29 eignet, wodurch Lerner komparatistische Fähigkeiten ausbilden bzw. verbessern können30. Verdeutlicht wird das eben angesprochene auch anhand des anschließenden Diagramms (s. Abb. 12), das die möglichen Vorteile von Lokalsprachen im Hinblick auf das Erlernen weiterer Sprachen in gebündelter Form darstellt:
Neben den bereits erläuterten Aspekten – der Ähnlichkeit zwischen Sprachen (Anzahl: 78) sowie der Stimulation des Geistes (Anzahl: 17) – wurden mögliche Vorteile auch in der Verbesserung der Sprachkompetenz (Anzahl: 5) hinsichtlich grammatikalischer, syntaktischer und übersetzungsbezogener Aspekte sowie in der Horizonterweiterung (Anzahl: 5) gesehen (s. Abb. 12). Letzterer Punkt zielt vor allem darauf ab, anderen Weltanschauungen, Kulturen und Sichtweisen, denen Lerner beim Erlernen weiterer Sprachen unweigerlich begegnen, offen gegenüberzustehen. Grundsätzlich sehen 94% der Teilnehmer Lokalsprachen hinsichtlich des Erlernens weiterer Sprachen als hilfreich an (Frage 15). Zudem wurde von manchen Teilnehmern darauf hingewiesen, dass es Kindern leichter fällt, mehrere Sprachen zu erlernen, weshalb diese von einer Integration des Dialekts an Schulen profitieren könnten.
Letztlich befürworten die Teilnehmer einen Dialektunterricht, da dieser zum Erhalt sowie zur Bewahrung der Lokalsprache beitragen könnte (s. Abb. 11, Anzahl: 23). In diesem Zusammenhang finden sich auch häufig Begriffe wie „lingua Madre“ (s. Beispiel 24) oder „nostra lingua“, wobei auch Identifikationsgefühle (s. Beispiel 25) eine Rolle spielen, wie bereits in Kap. 3.3.1 erläutert.
24) Per noi Veneti è la lingua madre (TN 1747, Alter: 78, m.)
25) Perché la lingua identifica il popolo (TN 1643, Alter: 53, w.)
26) Per recuperarla anche fra i giovani e spiegarne il valore (TN 1710, Alter: 48, w.)
Beispiel 26 verdeutlicht ferner, dass die Weitergabe der Lokalsprache an die jüngeren Generationen ein Anliegen der Befragten ist, was natürlich auch zum Erhalt der Varietät beiträgt. Daneben lassen sich überdies mehrfach Begriffe, wie „popolo“ (TN 1643, Alter: 53, w.), „valore“ (TN 1710, Alter: 48, w.), „nostra lingua“ (TN 1653, Alter: 35, m.), „nostro paese“ (TN 1696, Alter: 30, w.) oder „nazione“ (TN 1783, Alter: 44, m.) finden, die einzeln für sich nicht auffällig sind, in der Fülle und im Hinblick auf die Situation der „lingua veneta“ als nicht anerkannte Minderheitensprache jedoch in eine leicht nationalistische Richtung deuten könnten. Die Mehrheit der Teilnehmer (79%) sieht in der Beherrschung von Lokalsprachen und deren Unterricht jedoch vielmehr einen Vorteil bzw. ein Hilfsmittel – insbesondere in Anbetracht der Integration von Migranten (Frage 17) und nicht die Gefahr einer Ausgrenzung, die einer Integration im Wege stehen könnte (Frage 19). Lediglich 11% der Befragten halten es für möglich, dass Lokalsprachen als Ausgrenzungsmittel instrumentalisiert werden könnten, während 76% gegensätzlicher Ansicht sind (13% enthielten sich ihrer Meinung). Die diesbezüglich genannten Argumente der Teilnehmer sind in nachfolgendem Diagramm (Abb. 13) in konzentrierter Form illustriert:
Vorab ist festzustellen, dass in diesem Fall keine eindeutige Mehrheit erkennbar ist, die sich in der Weise abgrenzt, wie es in den vorigen Diagrammen der Fall war. Am häufigsten – mit einer Anzahl von 37 – wurden Argumente genannt, die Gefühlsaspekte enthielten, wie beispielsweise folgende Beispiele aufzeigen:
27) Parlare la lingua locale significa saper entrare nell’animo delle persone. Mi è capitato spesso di riuscire a instaurare un’intesa particolare con una persona nuova se iniziamo subito ad esprimersi in Veneto. […] (TN 1544, Alter: 26, w.)
28) […] La lingua locale è spesso percepita come lingua del cuore, la lingua che si parla in famiglia, con le persone che più amiamo e il fatto che uno straniero parli tale lingua, gli permette di avvicinarsi a noi prima e meglio poiché, parlando come noi, lo vediamo come uno di noi. La lingua locale è inclusiva, unisce! (TN 1742, Alter: 35, m.)
In den Beispielen 27 und 28 wird die Lokalsprache in Verbindung mit der Seele, dem Herzen sowie geliebten Menschen gesetzt. Wenn beide Kommunikationspartner die Lokalsprache sprechen, entsteht somit eine gewisse Annäherung sowie ein Gefühl der Verbundenheit, das die Kommunikation positiv beeinflusst. Damit geht auch eine Kommunikationserleichterung einher, die von den Teilnehmern als zweiter Aspekt genannt wurde (Anzahl: 27). Da die Lokalsprache im Veneto sehr stark verbreitet ist und aktiv von der Bevölkerung benutzt wird, erleichtert ein schnelles Aneignen der „lingua veneta“ den Migranten sowohl die passive als auch aktive Kommunikation im Venetischen (s. Beispiel 29). Als dritten Mehrwert verwiesen die Teilnehmer auf eine bessere Integration (Anzahl: 26), zu der eine Verwendung der Lokalsprachen beitragen könnte. Dadurch könnte auch Ausgrenzung sowie Ghettoisierungen entgegengewirkt werden. Sehr gut wird dies in Beispiel 30 illustriert, aus dem hervorgeht, dass dem Migranten Sprache und Kultur nicht aufgedrängt werden, sondern vielmehr einen persönlichen Gewinn darstellen sollten. Die bereits zuvor angesprochene Offenheit gegenüber anderen Kulturen, zu deren Verstärkung Lokalsprachen beitragen können, wird in Beispiel 30 ebenfalls angeführt.
29) […] le lingue locali costituiscono la gran parte della lingua parlata […] (TN 1656, Alter: 47, w.)
30) La lingua locale è un mezzo più informale e quotidiano, che tende a rimuovere quelle barriere mentali che si possono creare tra diverse culture. In più il migrante può trovare nella lingua locale comune un ulteriore punto di contatto e di origine. (TN 1613, Alter: 31, m.)
Grundsätzlich ist allerdings das Gesamtbild der genannten Mehrwerte bezüglich der Integration von Migranten zu betrachten, da die einzelnen Aspekte sehr eng miteinander verflochten sind respektive interagieren.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Teilnehmer der Umfrage einer Integration des Dialekts in das Bildungswesen äußerst positiv gegenüberstehen. Sie sehen darin nicht nur einen Vorteil im Hinblick auf die Bewahrung der Sprache und des Kulturguts sowie des Erlernens weiterer Fremdsprachen, sondern auch eine geeignete Möglichkeit, um die Integration von Migranten zu erleichtern und zu verbessern. Neben den bereits in Kap. 3.3.1 erläuterten Verbundenheitsgefühlen spielen hierbei auch intellektuelle, sprachliche, kulturelle sowie zwischenmenschliche Aspekte eine Rolle.
3.3.3. Analyse der Kursteilnahme
Schließlich stehen die Daten, die sich aus den Fragen und Antworten hinsichtlich der Teilnahme an den Erwachsenensprachkursen ergeben, im Zentrum der Betrachtung. Die Kursteilnahme soll dabei von verschiedenen Seiten beleuchtet werden, um im Diskussionskapitel mögliche Schlüsse im Hinblick auf das Bildungswesen als Indikator für den Stellenwert des Dialekts ziehen zu können.
Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits aufgezeigt, dass die Teilnehmer die Einbindung des Dialekts in das Bildungswesen befürworten. In diesem Fall wird zuvörderst die Frage nach der Motivation der Teilnahme am Sprachkurs „Corse de Veneto“ (s. Anhang 2, Frage 6) näher betrachtet (Frage 20):
Aus den Daten geht hervor, dass die Mehrheit der Teilnehmer (Anzahl: 63) am Sprachkurs teilgenommen hat, um ihre sprachlichen Fertigkeiten zu vertiefen, wie in Abb. 14 graphisch dargestellt ist. Neben einer grundsätzlichen Verbesserung der Sprachkompetenz war das Erlernen korrekten Schreibens in der „lingua veneta“ ein äußerst häufig genanntes Ziel (s. Beispiel 31):
31) Imparare correttamente la scrittura (TN 1554, Alter: 52, m.)
Weiterhin wurden auch kultur- und herkunftsspezifische Motive (Anzahl: 23) angeführt, dicht gefolgt von Beweggründen, wie Neugier, die Liebe zum Veneto sowie abermals Identitätsgefühle (Anzahl: 21):
32) Approfondire le radici culturali (TN 1605, Alter: 37, m.)
33) Grande amore per la lingua, per la terra, per la gente (TN 1735, Alter: 45, w.)
34) Curiosità (TN 1548, Alter: 53, m.)
Die Beispiele 32-34 wissen einen deutlichen Bezug zu den Daten auf, die in den vorangegangenen Kapiteln bereits erläutert wurden, insbesondere im Hinblick auf die kulturellen und emotionalen Aspekte. Diese sind sowohl bei der gegenwärtigen Situation der „lingua veneta“ (Kap. 3.3.1) als auch bei der Frage der Integration des Dialekts in das Bildungswesen (Kap. 3.3.2) von Bedeutung. Die Verbundenheit gegenüber der Sprache und Region spielt offensichtlich eine große Rolle. Dies wird auch anhand des vierten Motivs – der Wertschätzung des Venetischen – deutlich, welches insgesamt 12-mal angeführt wurde (s. Abb. 14):
35) […] voglia di dare legittimità e importanza alla lingua Veneta (TN 1544, Alter: 26, w.)
Beispiel 35 zeigt nicht nur den Wunsch, dass die „lingua veneta“ verstärkt wertgeschätzt werden sollte, sondern auch das Anliegen, der Varietät Legitimität zu verschaffen, sie als Sprache anzuerkennen. Besagtes spiegelt auch ein Anliegen der Academia de ła Bona Creansa wider, wie aus dem Interview (s. Anhang 2, Frage 11) hervorgeht. Besonders die Etablierung der „lingua veneta“ in den universitären Bereich, eines der Hauptziele der Akademie, wird dabei als wichtiger Meilenstein in Bezug auf eine Anerkennung als Sprache sowie eines erhöhten Prestiges gesehen (s. Anhang 2, Frage 11).
Weiterhin wurden die genannten Beweggründe der Teilnehmer im Sprachkurs weitestgehend erfüllt, wie im folgenden Diagramm illustriert ist:
Insgesamt haben 91,7% der Teilnehmer die Frage „Le è piaciuto il corso di veneto?“ (Frage 21) mit „moltissimo“ und 8,3% mit „parecchio“ beantwortet. Die weiteren Auswahlmöglichkeiten „poco“ und „non mi è piaciuto“ wurden von niemandem gewählt, wodurch eine äußerst positive Rückmeldung zu verzeichnen ist. Dies bestätigt auch Dott. Mocellin, der das Feedback als „straordinariamente positivo“ (s. Anhang 2, Frage 8) bezeichnet.
Neben der Vertiefung kultureller Kenntnisse (Anzahl: 9), die im Rahmen der Motive an zweiter Stelle genannt wurden, lobten die Teilnehmer mehrfach die Unterrichtsmethoden sowie den Dozenten (Anzahl: 21, s. Abb. 15), wie anhand folgender Beispiele sichtbar wird:
36) Scoperta della ricchezza culturale e storica della nostra […] lingua (TN 1645, Alter: 50, w.)
37) Perché fatto in maniera assolutamente professionale, estrema serietà e competenza (TN 1735, Alter: 45, w.)
Am häufigsten lobten die Befragten jedoch die Erweiterung ihrer sprachlichen Kompetenzen (insgesamt 72-mal), welche bereits zuvor den größten Anreiz für eine Kursteilnahme darstellte (s. Abb. 14).
38) […] ho scoperto che alla base della mia lingua madre esistono precise regole grammaticali. […] il corso mi è servito anche a comprendere meglio alcuni aspetti della lingua italiana […] (TN 1742, Alter: 35, m.)
39) Si insegna il veneto con il rispetto di tutte le sue pronunce e si insegna ad ognuno scrivere nella sua variante […] (TN 1561, Alter: 31, m.)
Während in Beispiel 38 deutlich wird, dass der Kurs den Teilnehmern für sie neue sprachliche Aspekte näher bringt, die auch in Bezug auf die Landessprache hilfreich sein können, beispielsweise durch die Konfrontation zwischen Sprachen und Varietäten, veranschaulicht Beispiel 39, dass auch lokale Unterschiede des Venetischen thematisiert werden. Dadurch ist zwar die extreme dialektale Vielfalt in all ihren Einzelheiten berücksichtigt, es stellt gleichzeitig aber auch eine enorme didaktische Herausforderung dar, wie bereits in Kap. 2.5 angesprochen wurde.
Im Wesentlichen hat der Sprachkurs nach Angabe von 80% der Teilnehmer, deren Perspektive bezüglich des Veneto und der Lokalsprachen positiv verändert (Frage 24). 16% der Befragten stellten keine Veränderung fest, da sie schon zuvor eine sehr positive Einstellung gegenüber dem Veneto hatten. 4% enthielten sich ihrer Meinung bzw. waren unentschlossen („non lo so“). In diesem Zusammenhang ist auch auf Frage 12 des Interviews mit Dott. Mocellin (s. Anhang 2) zu verweisen, aus der hervorgeht, dass durch die Arbeit der Akademie – besonders im Blick auf den Status und Erwerb – eine große Veränderung der Einstellung gegenüber der Lokalsprache zu beobachten ist. Das Venetische wird demnach nicht nur als kulturelle, historische oder traditionelle Bereicherung wahrgenommen, sondern auch als Komponente persönlicher und sozialer Identität (s. Anhand 2), wie die Ergebnisse dieser Fallstudie belegen. Die Aspekte der Mehrsprachigkeit und Offenheit gegenüber anderen Sprachen und Kulturen stellen dabei einen wesentlichen Bestandteil dar (s. Anhang 2, Frage 12). Die genannten Gründe der Teilnehmer für eine Veränderung der Perspektive werden in anschließendem Diagramm (Abb. 16) graphisch wiedergegeben:
Aus Abb. 16 geht hervor, dass in den meisten Antworten der Teilnehmer eine positive Bewusstseinserweiterung beschrieben wurde (Anzahl: 62). Die Befragten gaben dabei an, dass sich ihre Einstellung gegenüber den Lokalsprachen, ihren Möglichkeiten sowie dem kulturellen Erbe verbessert hat und sie diese deshalb noch mehr wertschätzen (s. Beispiel 40). Darüber hinaus wurde die Konfrontation mit anderen Sprachen und Varietäten als Bereicherung gesehen (s. Beispiel 41), wobei einige in diesem Zusammenhang erwähnten, dass ihnen durch den Sprachkurs bewusst wurde, dass es sich beim Venetischen um eine Sprache handelt, wie Beispiel 42 aufzeigt:
40) Mi ha resa più cosciente del valore di questa lingua (TN 1688, Alter: 42, w.)
41) Mi è stato chiarito il carattere multistandard di questa lingua (TN 1674, Alter: 45, m.)
42) Mi ha fatto capire che ci sta parlando di una lingua e non di un dialetto locale (TN 1571, Alter: 52, m.)
Daneben wurden 22 Belege gefunden, in denen die Teilnehmer darauf hinwiesen, ein verstärktes Bedürfnis für den Schutz und die Verbreitung der Lokalsprachen, insbesondere der „lingua veneta“ zu verspüren.31 Anhand des Beispiels 43 ist zu sehen, dass durch den Schutz und die Verbreitung v.a. jüngere Generationen profitieren, die die Lokalsprachen am Leben erhalten sollen.
43) […] ho capito che bisogna tramandare il veneto alle prossime generazioni affinché lo parlino bene anche loro […] (TN 1570, Alter: 30, w.)
44) Mi ha reso più sicura ed orgogliosa della mia identità (TN 1615, Alter: 61, w.)
Ferner lässt sich die Änderung der Perspektive auch auf Verbesserungen der sprachlichen Kompetenzen (Anzahl: 9) sowie auf Identitätsgefühle (Anzahl: 5) zurückführen. Letztere zeigen abermals die starke Verbundenheit gegenüber dem Veneto und sind Ausdruck des Stolzes dieser Region anzugehören, wie Beispiel 44 veranschaulicht. Jene Aspekte wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln genannt; in diesem Rahmen treten sie aber nur in geringem Maße auf (s. Abb. 16). Diejenigen, deren Einstellung sich nicht verändert hat, waren sich bereits vor der Teilnahme am „Corso de Veneto“ des Mehrwerts von Lokalsprachen bewusst, wie aus Beispiel 45 hervorgeht:
45) Per me le lingue locali sono un patrimonio da sostenere e da scoprire (TN 1580, Alter: 55, m.)
Abschließend ist festzuhalten, dass der Sprachkurs von allen Teilnehmern in Bezug auf das Unterrichtsklima, die Lehrmethoden sowie den Lerninhalt ausgesprochen gelobt wurde. Weiterhin trug die Kursteilnahme dazu bei, sich mit bestehenden Einstellungen auseinanderzusetzen und diese gegebenenfalls zu überdenken, womit v.a. eine verstärkte Wertschätzung der Lokalsprachen und Kulturen einherging. Die Motivation der Teilnehmer ließ sich neben einem sprachlich-kulturellen und allgemeinen Interesse v.a. auf das Anliegen zurückführen, die bereits vorhandenen sprachlichen Fertigkeiten zu verbessern. Wie schon in den vorangegangenen Kapiteln sind auch hier Verbundenheits- und Identitätsaspekte sowie ein Schutzinteresse von Bedeutung.
3.4. Diskussion
Um den Einfluss des Bildungswesens in Bezug auf die Bedeutung des Dialekts im Veneto zu untersuchen, wurde eine Umfrage mit 109 Teilnehmern des Sprachkurses „Corso de Veneto“ (s. Anhang 1) sowie ein Interview mit dem Präsidenten der Academia de ła Bona Creansa Herrn Dott. Alessandro Mocellin (s. Anhang 2) durchgeführt. Die in 3.3 dargestellten Ergebnisse zeigen, dass die „lingua veneta“ eine bedeutende Rolle im Veneto spielt und sich einer breiten Verwendung erfreut, obwohl sie per Gesetz nicht als Minderheitensprache anerkannt ist (s. Kap. 2.3). Des Weiteren geht aus den Antworten der Fragebögen hervor, dass die Teilnehmer eine Integration des Dialekts in das Bildungswesen sehr stark befürworten, insbesondere im Hinblick auf die Bewahrung der Sprache und Kultur. Zudem sehen sie darin auch einen Mehrwert hinsichtlich des Erlernens weiterer Sprachen sowie der Integration von Migranten. Die große Motivation der Teilnehmer sowie ihr intensives Lob hinsichtlich der Lehrmethoden, des Lerninhalts sowie des Unterrichtsklimas zeigen weiterhin, dass sich der Sprachkurs großer Beliebtheit erfreut.
Obwohl die „lingua veneta“ einen derart wichtigen Bestandteil des öffentlichen Lebens darstellt, kann sowohl aus den Ergebnissen (s. auch Anhang 2, Frage 13; 5) als auch aus dem theoretischen Rahmen (s. Kap. 2.5, 2.6) geschlossen werden, dass das Venetische, wie Lokalsprachen allgemein im schulischen Bereich stark unterrepräsentiert sind oder vielmehr nicht berücksichtigt werden. Grund dafür könnte unter anderem die Tatsache sein, dass das Venetische nicht in das Gesetz zum Schutz der Minderheitensprachen (legge 482) aufgenommen wurde und somit vom Staat auch nicht als Sprache anerkannt wird (s. Kap. 2.3, 2.5). Die Bemühungen des Regionalrats des Veneto bezüglich einer Änderung der Gesetzeslage hatten bisher keinen großen Erfolg, wie bereits in Kap. 2.3 angesprochen wurde. Trotzdem favorisieren die Teilnehmer die Bezeichnung als „lingua veneta“ im Gegensatz zu der als „dialetto veneto“, da mit letzterem oftmals negative Assoziationen einhergehen (s. Kap. 3.3.1). Der Dialekt spielt somit im schulischen Bereich in der heutigen zeit nach wie vor eine untergeordnete Rolle, wobei die Initiativen der Academia de ła Bona Creansa, die sehr gut angenommen und honoriert werden, vielversprechende Perspektiven hinsichtlich einer Einbindung des Dialekts in das Bildungswesen aufzeigen. Als wichtige Ansatzpunkte konnten dabei insbesondere Identitäts- und Verbundenheitsgefühle, Anliegen hinsichtlich des Schutzes und der Verbreitung der „lingua veneta“ sowie Interessen bezüglich der Erweiterung sprachlicher Kenntnisse festgestellt werden. Letzterer Aspekt lässt zudem darauf schließen, dass mögliche Beschränkungen der Lokalsprache (z.B. spezifischer Wortschatz) durch Lokalsprachkursangebote reduziert werden könnte. Die große Motivation der Teilnehmer sowie deren Befürwortung einer Integration der Lokalsprachen bzw. Dialekte in das Bildungswesen kann dabei auf die starke Verbundenheit gegenüber dem Venetischen, die in den Antworten der Teilnehmer sehr deutlich zum Ausdruck komm, zurückgeführt werden. Daraus könnte geschlossen werden, dass eine aktivere Rolle des Staats in Bezug auf Dialekte und Lokalsprachen, die Teil regionaler Kultur und Tradition sind, deren Erhalt und Wertschätzung verbessern könnte. Darüber hinaus stellt die in den Sprachkursen verwendete didaktische Methode, das Venetische mit anderen und benachbarten Sprachen zu vergleichen, nicht nur einen Vorteil beim Erlernen weiterer Sprachen dar, sondern öffnet auch den Blick für andere Kulturen und Weltanschauungen. Dies regt auch dazu an, bestehende Ansichten zu reflektieren und diese womöglich zu ändern. Die Annahme, dass sich die Einstellung der Teilnehmer gegenüber dem Dialekt durch eine Teilnahme am Sprachkurs positiv verändert, wurde durch die Ergebnisse der Umfrage und des Interviews klar bestätigt. Insbesondere veränderten sich die Einstellungen der Teilnehmer dahingehend, dass sie die „lingua veneta“ bzw. Lokalsprachen generell verstärkt wertschätzten. Eine Einbindung des Dialekts in das Bildungswesen könnte somit dazu beitragen, das Ansehen (Prestige) des Venetischen respektive der Lokalsprachen zu verbessern. Den Teilnehmern könnte auf diese Weise die sprachliche Vielfalt Italiens, die einen besonderen Reichtum darstellt, in ihrer Wertigkeit vermittelt werden. Dies forderte bereits Ascoli, wie in Kap. 2.5 erläutert wurde (vgl. Marcato 2007b, 140). Im Blick auf den Unterricht an Schulen lässt sich sagen, dass Schüler vom Angebot des Lokalsprachenunterrichts profitieren könnten, da das Sprachenlernen jüngeren Menschen leichter fällt als älteren, zudem fördert dies die allgemeine Sprachkompetenz. Des Weiteren könnte er eine willkommene Abwechslung zum „normalen“ Unterricht sein. Eine Integration in den Unterricht lässt sich aus den genannten Gründen nicht einfach durchführen. Hilfreich wäre vermutlich ein Unterricht als freiwilliges Angebot, dadurch müssten auch die Lehrpläne nicht verändert werden.
Das positive Ergebnis liegt wohl darin begründet, dass ältere Generationen, die verstärkt Dialekt sprechen und denen die Mehrheit der Teilnehmer angehört, einen stärkeren Wert auf kulturelle, traditionelle und sprachliche Aspekte legen.
Die Auswahl der Teilnehmer sollte die externe Validität der Fallstudie sichern. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die für diese Arbeit befragten Personen einer speziellen Gruppe angehören, da sie alle an dem Sprachkurs „Corso de Veneto“ teilgenommen haben. Für diese Arbeit, die anhand einer Analyse von Umfragedaten herauszufinden versuchte, inwiefern das Bildungswesen einen Indikator für den Stellenwert des Dialekts darstellt, waren die Teilnehmer des „Corso de Vento“ von entscheidender Bedeutung. Um allerdings allgemeinere Daten zu erhalten, sind weitere Studien unerlässlich. Da es sich bei den Teilnehmern um Erwachsene handelt und sich das sprachdidaktische System der Erwachsenenkurse der Akademie sehr stark von den schulischen unterscheidet, wie bereits in Kap. 3.2 angesprochen (s. Anhang 2, Frage 6), können Bezüge zum schulischen Unterricht nur bedingt hergestellt werden. Aufgrund der Kürze der Arbeit konnten bedauerlicherweise nur Daten einer Personengruppe (Kursteilnehmer der Erwachsenenkurse) analysiert werden. Zudem konnte der ursprüngliche Ansatz dieser Arbeit, das Pilotprojekt der Akademie des Unterrichtens des Venetischen an Schulen wegen der Covid-19-Pandemie nicht realisiert werden. Daher wurden die Erwachsenensprachkurse herangezogen. Es wäre sinnvoll und wünschenswert, in zukünftigen Studien insbesondere die Sprachkurse der Akademie an Schulen bzw. einen Dialektunterricht an Schulen zu analysieren und diese Daten beispielsweise mit den hier vorliegenden oder mit Daten von Personen zu vergleichen, die an keinem der Kurse teilgenommen haben, um auf die Gesamtpopulation des Veneto schließen zu können. Durch eine Wiederholung der Fallstudie könnte überdies die Testzuverlässigkeit überprüft werden (vgl. Albert/Marx 2014, 29). Des Weiteren wäre eine Lehrmaterialanalyse, beispielsweise der „Percorsi di Lingua Veneta“ (Mocellin 2018b), ein interessanter Untersuchungsgegenstand. Grundsätzlich könnten auch Lehrkräfte von weiteren Forschungen hinsichtlich der Einbindung des Dialekts bzw. der Lokalsprachen in den Unterricht und dafür geeigneter didaktischer Methoden profitieren.
4. Fazit
Versuch dieser Arbeit war es, anhand einer quantitativen Fallstudie in Form einer Umfrage sowie eines qualitativen Interviews der Frage „Inwiefern stellt das Bildungswesen einen Indikator für den Stellenwert des Dialekts im Veneto dar?“ nachzugehen.
Bei reiner Betrachtung des staatlichen Unterrichts an den Schulen des Veneto käme man wohl zu dem oberflächlichen Schluss, der Dialekt habe einen geringen Stellenwert, weil er nur eine geringe bis gar keine Rolle spielt. Das entspräche der allgemeinen Geringachtung des Begriffs „Dialekt“. Doch neben dieser offiziellen, staatlichen Bildungsschiene gibt es beachtliche Anstrengungen auf einer breiten Basis, den Dialekt in professionellen Sprachkursen zu unterrichten. Hierauf bezogen sich die Untersuchungen dieser Arbeit. Aus deren Ergebnissen lässt sich schließen, dass die Integration von Lokalsprachen in das Bildungswesen von den Teilnehmern der Umfrage, insbesondere im Hinblick auf den Schutz des Kulturguts, die Bewusstseinsentwicklung für Unterschiede zwischen Sprachen sowie der Bewahrung der Lokalsprache sehr stark begrüßt wird. Weiterhin zeigten die Ergebnisse, dass die „lingua veneta“ von einer Einbindung in das Bildungswesen dahingehend profitieren könnte, dass beispielsweise Beschränkungen bezüglich des Wortschatzes reduziert werden könnten. Neben der großen Motivation der Teilnehmer, die v.a. durch ein sprachlich-kulturelles Interesse sowie dem Anliegen, bestehende Sprachkenntnisse zu verbessern zum Ausdruck kam, konnten äußerst positive Rückmeldungen hinsichtlich der Kursteilnahme verzeichnet werden. Besonders deutlich war die Bestätigung der Teilnehmer, dass sich ihre Einstellung gegenüber dem Dialekt durch den Sprachkurs positiv verändert hat, womit v.a. eine zunehmende Wertschätzung der Lokalsprachen einherging. Insgesamt kommt dem in der Region des Veneto intensiv verwendeten Venetischen sowohl im familiären wie auch öffentlichen Leben eine zentrale Rolle zu, die insbesondere von Identitäts- und Verbundenheitsgefühlen geprägt ist.
Als abschließendes Resümee lässt sich feststellen, dass das Bildungswesen ein Indikator für den Stellenwert des Dialekts im Veneto ist, denn die Sprachkurse haben einen deutlichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Teilnehmer gegenüber der Lokalsprache ausgeübt, da mit der Teilnahme nicht nur Sprachkenntnisse vertieft, Neues entdeckt und die Perspektive erweitert wurde, sondern das Venetische gewann dadurch auch ein erhöhtes Prestige. Wie schon zuvor in der Diskussion erwähnt, konnte aufgrund des gebotenen Umfangs der Arbeit wie auch wegen der Pandemie nicht auf verschiedene Personengruppen, insbesondere Schüler, sowie auf weitere Phänomene, Merkmale und Einflussfaktoren hinsichtlich des Lokalsprachenunterrichts ausreichend eingegangen werden. Die hier getroffene Auswahl soll einen Gesamtüberblick über den Lokalsprachenunterricht vermitteln, die Situation der „lingua veneta“ beleuchten sowie die wichtigsten Motivationsgründe und Resultate bzw. Auswirkungen der Teilnahme am „Corso de Veneto“ erläutern, die anhand der Fragebogenanalyse und des Interviews mit konkreten Beispielen und Diagrammen belegt wurden. Dadurch kann das Konzept des Lokalsprachenunterrichts und dessen Auswirkungen auf den Stellenwert des Dialekts im Veneto besser nachvollzogen werden. Um dem Reichtum der Lokalsprachen sowie deren sprachlicher Kreativität gerecht zu werden und sie nicht als minderwertige Nebenformen gegenüber der Standardsprache zu sehen, sollten zukünftige Arbeiten einen detaillierteren Blick auf deren Besonderheiten, Hintergründe und soziale Dimension werfen und ihre Integration in das Bildungswesen diskutieren.
5. Anhang
5.1. Anhang 1: Fragebogen und Antworten
Link zu den Antworten des Fragebogens
5.2. Anhang 2: Interview mit Herrn Dott. Alessandro Mocellin
Interview mit Herrn Dott. Alessandro Mocellin
5.3. Anhang 3: Eidesstattliche Versicherung
Hiermit versichere ich an Eides statt, dass die B.A.-Arbeit mit dem Titel
„Das Bildungswesen als Indikator für den Stellenwert des Dialekts im Veneto“
von mit selbständig und ohne unerlaubte fremde Hilfe angefertigt wurde und keine anderen, als die von mir angegebenen Schriften und Hilfsmittel benutzt wurden. Die den benutzten Werken wörtlich und inhaltlich entnommenen Stellen sind kenntlich gemacht.
Mindelheim, 05.03.2021
Benedicta Schedler
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