1. Das Romanische an der Ostküste der Adria (Istrien, Dalmatien, Montenegro, Albanien)
Die Ostküste des Adriatischen Meeres gehört in historischer Perspektive zur Romania; ein angemessener Einbezug dieses speziellen Raums ist jedoch nur dann möglich, wenn die Sprachgeschichtsschreibung nicht als Geschichte von Einzelsprachen sondern als Geschichte von kommunikativen Räumen konzipiert wird. Aus raumbezogener Perspektive wurden in der Forschung zwei unterschiedlich perspektivierte Bezeichnungen vorgeschlagen:
- ‘Romania byzantina’, von Petar Skok für diejenigen Gebiete Italiens, Istriens, Dalmatiens, die zum Byzant. Reich gehörten (zit. in Muljačić 2000);
- ‘Romania circumadriatica’, von Skoks Schüler Pavao Tekavčić (zit. in Muljačić 2000, 396).
In diesen Gebieten hat das Venezianische im Hinblick auf die Verdrängung anderer romanischer Idiome durch Überdachung eindeutig wie eine Sprache (und nicht wie ein Dialekt) gewirkt.
Ansatzweise lässt sich dieses Potential bereits in Italien, nämlich im Friaul erkennen, wie ein Ausschnitt aus der Dialektkarte im LRL III zeigt:
Das Kartenbild (die hellgrünen Kreise) lässt zwei ‘Wege’ der Venezianisierung erkennen::
- von der Küste her;
- über die Städte.
Dieses Verdrängungspotential des Venezianischen zeigt sich jedoch (in Kombination der beiden Faktoren) vor allem im Blick auf das Romanische am östlichen Ufer der Adria, wo das Romanische heute nur noch in wenigen Resten, vor allem in Istrien und in der Stadt Zara (kroat. Zadar) in Dalmatien erhalten ist; mindestens bis zum zweiten Weltkrige ist jedoch mit klarere Präsenz in den Küstenstädten Montenegro, Albanien und allgemein auf den vorgelagerten Inseln zu rechnen (vgl. Barbarić 2015) zu rechnen.
Die zahlreichen und historisch unterschiedlichen Sprachinseln und -reste sind für die Romanistik von besonderem Interesse, da sie in der Romania discontinua und geographisch genauer gesagt: ‘zwischen’ dem Rumänischen und den anderen romanischen Sprachen liegen. Es müssen mehrer romanische Idiom unterschieden werden, die im folgenden kurz in ihren regionalen Kontexten (Istrien und Dalmatien) skizziert werden.
2. Istrien
Die Sprachlandschaft dieser kleinen, zu Kroatien gehörenden Halbinsel ist aus romanistischer Sicht besonders komplex. Die beiden unterschiedliche romanische Strata, nämlich das autochthone und das mit Venedig hinzugekommene allochthone sind hier noch gut zu unterscheiden.
2.1. Istriotisch (oder: Istroromanisch)
Zunächst muss das ältere
“istrioto o istroromanzo o preveneto dell’Istria” (Ursini 1989, 537),
genannt werden, dessen komplexe und nicht ganz klare historische Klassifikation sich in mehreren Bezeichnungen widerspiegelt:
“La pluralità di denominazione delle varietà un tempo diffuse in tutto il settore sudoccidentale dell’Istria, documentate per Rovigno, Dignano, Valle, Fasana, Gallesana e Sissano, ma ora precariamente sopravviventi solo a Rovigno e Dignano, è il sintomo più appariscente della controversia tipologica che, nata quasi un secolo fa e guidata in alcuni momenti storici da ragioni extralinguistiche, non ha tuttora trovato soluzione, prevalendo sui pochi ed incerti dati antichi le diverse ipotesi ricostruttive, con i problemi teorici e metodologici che le sottendono. Il nome istrioto (analogo a veglioto) si deve ad Ascoli e lo stesso Ascoli mette in evidenza i parametri di confronto in base ai quali si è cercato fino ad oggi di cogliere l’individualità di queste parlate: il friulano da un lato e il veneto dall’altro, accanto a qualche elemento di divergenza da entrambi, «forse» elaborazione neolatina autoctona.” (Ursini 1989, 540 f.)
Die restliche Verbreitung zeigt die folgende Kartenskizze:
2.2. Das veneto coloniale in Istrien
Die ältere istriotische Schicht wurde dann durch ein jüngeres Kolonialvenezianisch überlagert, wodurch sie teils verändert, teils aber auch in Gestalt unterschiedliche Lokalvarietäten verdrängt wurde:
“Sono noti i rapporti privilegiati tra Venezia e l’Istria, per i quali si radicò, prevalentemente lungo le coste nordoccidentali, una varietà di veneto «coloniale». Per questa più intensa venezianizzazione Crevatin (1975a, 65) rivendica al veneto istriano una posizione particolare nell’ambito delle diverse varietà «coloniali»: la prova linguistica, rispetto alle ipotesi di Bidwell, starebbe nella sostanziale conformità al dialetto urbano di Venezia senza, tuttavia, tratti di venezianità arcaica. Al di là di questo, pur valido, quadro generale, la situazione è molto complessa: le parlate documentate mostrano tendenze comuni ma anche caratteristiche divergenti, sono variamente percorse da concordanze col veneto costiero non veneziano o con tipi rustici di terraferma e registrano significativi parallelismi col gruppo istriano meridionale. Un aspetto del tutto originale, simile ad un veneto rustico, mostrava alla fine del secolo scorso il piranese, per l’esclusiva presenza dei foni interdentali e per la conservazione di tratti forse un tempo più diffusi in tutta l’Istria veneta.” (Ursini 1989, 537 f.)
“Durante tutta la fase del dominio veneziano, dunque, l’Istria, perpetuando il suo particolarismo, non fu in grado di esprimere un centro guida ed un correlato modello linguistico: la sua dipendenza da Venezia fu quindi totale.” (Crevatin 1989 a, 552)
Im einzelnen lassen sich drei Phasen der Venezianisierung unterscheiden:
- Phase: Das Venezianische fungierte Dachsprache, die von der städtischen Oberschicht getragen wurde und beherrschte die Schriftlichkeit.
“La prima fase della venezianizzazione linguistica va collocata all’incirca nel XIV sec., quando il dominio della Serenissima si consolidò durevolmente: in questa fase il veneziano doveva avere tutte le caratteristiche sociolinguistiche della lingua di cultura, sostenuta dall’amministrazione, dal commercio e dai nuovi modelli sociali; si dovette quindi innescare una situazione di diglossia, che vedeva il veneziano in posizione di assoluto privilegio. I documenti in volgare dei sec. XIV-XV (in genere statuti ed atti amministrativi) sono tutti in veneziano, con pallidissime interferenze locali (ad esempio l’esito –àr(o) del suff. –ARIUS). (Crevatin 1989 a, 552)
2. Phase: Das Venezianische wird setzt sich allgemein als Sprache der spontanen Mündlichkeit durch und erhält in der Schriftlichkeit zunehmend Konkurrenz durch das Italienisch.
"La seconda fase della venezianizzazione è stata preparata dagli spopolamenti e parziali ripopolamenti a seguito di epidemie, carestie e guerre. La rifondazione del tessuto demografico favoriva la diffusione del veneziano, codice da tutti compreso. Contemporaneamente (XVI sec.) il veneziano si trovò sempre più a convivere con l’italiano, divenuto ormai ampia lingua di cultura, per cui l’uso del dialetto della Dominante assunse sempre più la caratteristica di codice colloquiale
3. Phase: Das Stadtvenezianische wird als Ortientierungsvarietät zunehmend durch den (venezianische basierten) Stadtdialekt von Triest ersetzt, so dass sich eine Tendenz zur Vereinheitlichung (Koineisierung) ergab:
"La poderosa capacità irradiativa del dialetto di Trieste, sostenuta dal prestigio culturale della città, determinò la terza fase (questa volta, «indiretta») della venezianizzazione dell’Istria: buona parte dei dialetti istriani, tra la fine dell’800 ed il ’900, si riconobbe in una koiné guidata dal capoluogo giuliano.” (Crevatin 1989 a, 552)
Die drei Phasen lassen sich ansatzweise durch den folgenden Kartenausschnitt illustrieren:
- Die in Istrien dokumentierten Formen sind gemessen am Konsonantismus eindeutig venezianischen Typs; sie haben das initiale k- erhalten (und nicht palatalisiert wie im Friualischen) und das intervokalische -p- > -v- spirantisiert;
- die Formen in 379, 397, 398, 399 zeigen kaum lokale Varianz und folgen demselben, regelmäßigen Typ:
- identischer Tonvokal in Singular und Plural,
- Singular mit l-Erhalt, Plural mit l-Schwund;
- die offenbar jüngste phonetische Neuerung des Stadtvenezianischen (Affrikat im Sing. [kaˡeʤʲo] ist offenbar nicht mehr angekommen.
2.3. Das Istrorumänische
In Istrien lebt, wie auch in zahlreichen anderen südosteuropäischen Ländern, eine kleine rumänische Minderheit, die einen eigenen Dialekt, das Istrorumänisch, spricht. Es ist historisch sowohl vom Istriotischen wie vom Dalmatischen scharf zu trennen.
Die folgende Graphie schematisiert die sprachliche Stratigraphie Istriens:
3. Dalmatien und das Dalmatische
Dieses Idiom ist vor allem aus forschungsgeschichtlicher Sicht bemerkenswert; es gilt als ausgestorbene romanische ‘Sprache’, wie exemplarisch die von vielen als 'klassisch' angesehene Übersicht von Heinrich Lausberg zeigt:
“Auf Grund des Verwandtschafts-Grades […] ergibt sich eine Einteilung der Romania in drei Räume:
I. Westromania mit folgenden Teilräumen:
- A. Galloromania (Pr. Frpr.Fr.[…]);
- B. Raetoromania […];
- C. Norditalien […];
- D. Iberoromania (Kt. Sp. Pg. […]).
II. Ostromania mit folgenden Teilräumen:
- A. Mittel- und Süditalien ([...]);
- B. Dalmatien ([…]);
- C. Rumänien ([…]).
III. Sardinien [...].
Diese Einteilung der Romania entspricht etwa der ausgehenden Kaiserzeit [...]: sie nimmt, wie die Zweiteilung Italiens [...] zeigt, keine Rücksicht auf die heutige Einteilung in die durch die Geltung der Schriftsprachen [...] geschaffenen nationalsprachlichen Groß-Räume (die ein Faktum der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte sind), sondern stützt sich allein auf den Befund der Mundarten [...].
Das Bild der heutigen Romania wird (bis in die Mundarten hinein) durch die Schriftsprachen bestimmt. Es sind dies: Pg. [...], Sp. [...], Fr. [...], Bündnerromanisch (jedoch ohne einheitliche Schriftsprache [...]), It. [...], Rm. [...]. Eine beschränkte schriftsprachliche Geltung hat noch das Kt. [...]. Wegen seiner kulturellen Leistungen im Mittelalter und seiner deutlichen Unterschiede zum Französischen wird auch das (im Mittelalter als Literatursprache sehr lebendige) Pr. [...] als eigene romanische Sprache gerechnet, obwohl es heute zum Geltungsbereich der französischen Schriftsprache gehört. – Das Schriftsprachen-Prinzip versagt beim Sd. [...], das heute zum Geltungs-Bereich der italienischen Schriftsprache gehört, und beim Dalmatischen [...]: beide Sprachen werden als eigene romanische Sprachen betrachtet, weil ihre Unterordnung unter eine Schriftsprache mit den sehr starken Unterschieden dieser Sprachen zum Italienischen nicht vereinbar ist. – Ist das Schriftsprachen-Prinzip so einmal durchbrochen, so wird man mit der gleichen Begründung auch das Rätor. [...] als eigene Sprache gelten lassen, wenn auch nur das Bündnerromanische [...], und zwar nur innerhalb der bündnerromanischen Bereichs selbst, schriftsprachliche Geltung erlangt hat.
Es ergibt sich somit eine ungleichmäßige motivierte Serie von zehn romanischen Sprachen: Pg. [...], Sp. [...], Kt. [...], Pr. [...], Fr. [...], Rätor. [...], It. [...], Dalmatisch [...], Rm. [...], Sd. [...]." (Lausberg 31969, 39 f.)
Den vorletzten Absatz eben dieses Passus zitiert auch Kloss (21978, 27 f.); er schließt daraus, Sardisch und Dalmatisch seien – ebenso wie Okzitanisch (vgl. ebd. 25) – 'Abstandsprachen'. Die Auffassung ist jedoch außerordentlich problematisch, da willkürlich; eindeutig als 'Sprachen' kann man nur die Ausbausprachen (die im Zitat von Lausberg als 'Schriftsprachen' bezeichnet werden) klassifizieren sowie das 'Rumänische', d.h. die räumlich diskontinuierliche Gruppe von Dakorumänisch, Meglenorumänisch, Aromunisch und Istrorumänisch, die jedoch nicht durch eine gemeinsame Dachsprache zusammenhalten wird, sondern die als einzige dem Typ einer romanischen Abstandsprache entsprechen, da sie sich untereinander viel stärker ähneln als eine von ihnen irgendeinem anderen romanischen Idiom (eine quantitativ belastbare Analyse fehlt jedoch bislang).
Die letzte Verbreitung des Dalmatischen lässt sich folgendermaßen rekonstruieren:
“Dans sa variété dialectale, le dalmate (ou roman prévénitien de la Dalmatie comme quelques savants préfèrent le nommer) a été parlé dans les villes suivantes: Krk (sur l’île éponyme), Osor sur l’île de Cres, Rab sur l’île éponyme), Zadar, Trogir, Split, Dubrovnik et Kotor (et peut-être aussi dans quelques autres localités des Bouches de Kotor et à Budva). Ces villes faisaient partie, au haut Moyen Age, du Thème byzantin de Dalmatie. Avant la slavisation, leur population représentait les derniers restes de la latinité dalmate, submergée ou dispersée par la grande migration des peuples. Ces villes, que l’Empire d’Orient s’obstinait à défendre comme ses avant-postes stratégiques dans l’Adriatique, échappant de plus en plus à son contrôle, étaient convoitées par les nouveaux états de ce bassin […]” (Muljačić 2000, 195; Hervorhebung Th.K.)
Man beachte die drei im vorangehenden Zitat hervorgehobenen Schlüsselwörter zur stratigraphischen Charakterisierung des Dalmatischen: es handelt sich um die dialektal differenzierte, vorvenezianische Schicht des Romanischen, das im Gefolge der Romanisierung entstanden ist.
Allerdings sollte man sich nicht mit der Feststellung begnügen, es handle sich um eine 'ausgestorbenes Idiom', d.h. um eine 'tote' Sprache, sondern präzisieren, dass immerhin ein kleines Korpus geschriebener Dokumente vorliegt. Damit fällt es nach der Typisierung der toten Sprachen durch Muljačić (2000, 375) in die am besten dokumentierte Kategorie der 'Korpussprachen' (mit diesem missverständlichen Ausdruck sind hier Sprachen gemeint, die ausschließlich aus Textkorpora bekannt sind):
Historisch ist das Dalmatische bezeugt für die byzantinische Zeit durch Kaiser Konstantin VII, gen. Porphyrogenetos (*905-955); nach dem Zusammenbruch des Byzantinischen Reichs gehörte Verbreitungsgebiet teils zu Venedig, Ungarn und der KuK-Monarchie. Heute gehören die ehemals dalmatischsprachigen Gebiete zu Kroatien und Montenegro, aber der 'Tod' des Dalmatischen ist keineswegs direkte Folge der Slawisierung Dalmatiens, sondern vielmehr - wie Žarko Muljačić ausführt - Ergebnis einer slavisch-romanischen Symbiose:
“Der Slavisierungsprozess war nämlich noch nicht zu Ende, als ein drittes Mitglied an der Ostküste der Adria Fuß zu fassen begann. Das Venedische, die Sprache einer größten europäischen Seemächte jener Zeit, genoß ein gewaltiges Ansehen: die Beherrschung der Sprache Venedigs war für jeden Kaufmann unentbehrlich. Zusammen mit dem Kroatischen nahm das Venedische an der Entdalmatisierung verschiedener dalmatischer Mundarten teil. Es trug so zum ‘Tode’ seiner schwächeren Schwestersprache möglicherweise in stärkerem Maße bei als das Kroatische”. (Muljačić 2000, 155)
Zahlreiche Reste des 'toten' Dalmatischen haben sich im Kroatischen, Venez., Ital. und anderen it. Dialekten von der Westseite der Adria erhalten.
Aus geolinguistischer Sicht steht das Dalmatische zwar zwischen dem Italoromanischen und dem Rumänischen.
“Es steht aber fest, daß das Dalmatische keine Balkansprache, sondern nur eine Sprache des Balkan war […]” (Muljačić 2000, 380).
Aus arealtypologischer Sicht gehört es also ins romanische Dialektkontinuum, da die charakteristischen Züge des Balkansprachbunds fehlen (dazu gehören: Albanisch, Mazedonisch/Bulgarisch, Rumänisch, Griechisch). Außer den typischen Merkmalen der Balkansprachen fehlen jedoch auch auffällige romanischen Gemeinsamkeiten mit den Rumänischen:
"Riepilogando, non si direbbe che il vegliotto attesti concordanze peculiari col rumeno, se non per quanto riguarda certa parte di lessico analizzata, però in diacronia. Neppure dal lato fonetico-fonologico ci sono concordanze in questa direzione. Si direbbe, piuttosto, che il dalmatico (o meglio vegliotto), quando non concorda con tutta la «Romania continua» oscilli, continuamente, tra Italia centro-meridionale e il resto della «Romania continua» e, all’interno di questa partizione, tra l’una e l’altra sua sezione. Mancano, inoltre, tratti peculiari che leghino in qualche maniera il vegliotto al friulano nel suo insieme, anche se si riscontra qua e là qualche concordanza lessicale, soprattutto la notata convergenza col tergestino per quanto riguarda il pl. dei sostantivi masch.” (Doria 1989a, 535; Link hinzugefügt von TKrefeld)
Immerhin entspricht der Konsonantismus klar den mittel- und süditalienischen Dialekten sowie dem Rumänischen, insofern die intervokalischen Plosive /p/, /t/, /k/ erhalten sind (vgl. Muljačić 2000, 395).
Auf Grundlage des Dokumentation können drei Teilgruppen unterschieden werden:
3.1. Vegliotisch
Die bekannteste Varietät ist das so genannte Vegliotische (it. vegliotto).
3.2. Ragusanisch: die Sprache der ‘fünften’ Seerepublik
Noch weniger bekannt als das Vegliotische ist das Dalmatische von Dubrovnik (it. Ragusa),
“le […] ragusain, qui – avant de s’éteindre — avait subi dans quelques parties de son système une forte dédalmatisation.” (Muljačić 2000, 199)
'das Ragusanische, das vor seinem Erlöschen in einigen Bereichen seines Systems eine starke Entdalmatisierung erfahren hat' (Übers. TKrefeld)
Die Repubblica di Ragusa wird oft als ‘fünfte italienische Seerepublik’ apostrophiert; dort herrschten andere kommunikationsräumliche Bedingungen als auf der Insel Veglia/Krk. Einerseits wurde das Dalmatische vom Senat der Republik (am 21.12.1472) zur offiziellen Sprache erklärt (Muljačić 2000, 195), andererseits ist es dann aber ganz rapide zurückgegangen und verschwunden; vollständige Texte sind nicht erhalten. Wie es scheint wurde das Dalmatische also im ausgeprägt städtischen Kontext von Dubrovnik/Ragusa viel eher, länger und stärker venezianisiert als in Krk.
Muljačić hat die unterschiedlichen Kontaktszenarien und soziolinguistischen Konstellationen in Veglia und Ragusa folgendermaßen schematisiert:
|
Veglia |
Ragusa |
1. Influsso slavo intenso inizia |
dopo l’800 |
dopo il 1100 |
2. Dominio veneziano stabile |
1480-1797 |
1205-1385 |
Schema aus Muljačić 2000, 396 |
In den anderen Städten, wie zum Beispielen in Split (ital. Spalato) scheint das Dalmatische noch eher untergegangen zu sein. Man beachte jedoch auch, dass sich mit dem Verschwinden des Dalmatischen keineswegs das Kroatische durchsetzte, sondern dass die Sprecher des Dalmatischen zum Venezianischen bzw. Italienischen übergingen (vgl. dazu jetzt Barbarić 2015).
3.3. Albano-Romanisch
Es ist weiterhin davon auszugehen, dass an der Küste des heutigen Montenegros und Albaniens eine dalmatische Varietärt gesprochen wurde, über die wir nur ganz unzureichend informiert sind:
“parlé au Moyen Age dans quelques villes côtières de l’Albanie et du littoral monténégrin. […] nous sommes très insuffisamment renseignés sur cet idiome […] qui pourrait être considéré aussi comme un dialecte dalmate […]” (Muljačić 2000, 194)
3.4. Einige Merkmale des Dalmatischen
Muljačić hat auch eine Tabelle zusammengestellt, in der Merkmale des Dalmatischen auf eventuelle Gemeinsamkeiten mit dem Standarditalienischen und/oder dem Rumänischen überprüft werden; diese Tabelle ist jedoch methodisch problematisch, da es notwendig ist, die Merkmale in der Dialektlandschaft einzubetten. Wenn nur mit der ital. bzw. rum. Standardsprache verglichen wird, ergeben sich Gemeinsamkeiten mit dem Rumänischen oder Alleinstellungsmerkmale, die verschwinden, sobald italienische Dialekte hinzugezogen werden (entsprechen Hinweise wurden daher in der folgenden Tabelle von Th.K. hinzugefügt).
ital. |
dalm. |
rum. |
PHONETIK |
||
Kollision vov ĭ / ē und ō / ŭ |
Kollision von ĭ / ē und ō / ŭ |
keine Kollision vov ĭ / ē und ō / ŭ |
keine Diphthongierung von lat ĭ, ē und ō, ŭ in off. Silbe |
Diphthongierung von lat ĭ, ē und ō, ŭ in off. Silbe |
keine Diphthongierung von lat ĭ, ē und ō, ŭ in off. Silbe |
keine Diphthongierung von lat ū
|
Diphthongierung von lat ū, cūlu > tʃoyl (auch in Apulien; vgl. AIS 136) |
keine Diphthongierung von lat ū |
keine Diphthongierung von lat ī |
Diphthongierung von lat ī, amicu > amayk (auch in Apulien; vgl. AIS 733) |
keine Diphthongierung von lat ī |
keine Palatalisierung von auslautenden Dentalen im Plural: quanti |
Palatalisierung von auslautenden Dentalen im Plural: kwintʃ (auch im Friaul. und Lomb.: vgl. AIS 50) |
Palatalisierung von auslautenden Dentalen im Plural: cîţi [kɨtsj] |
l nach Kons. nicht erhalten: pieno, fiume, chiave |
l nach Kons. erhalten: playn, floym, kluf (auch im Friaul., Lad., Bünderrom. und Altvenez.) |
l nach Kons. teilweise erhalten, außer nach p-: plin, cheie |
MORPHOLOGIE |
||
kein Plural –s |
kein Plural -s |
kein Plural –s |
proklitischer Artikel < ille |
proklitischer Artikel < ille |
enklitischer Artikel < ille |
drei-/zweistufige Demonstrativa |
zweistufige Demonstrativa (kol, kost) |
zweistufige Demonstrativa |
Komparativ mit più (< plus) |
Komparativ mit ple, pe (< plus) |
Komparativ mit mai (< magis) |
‘esse’ Auxiliar der intrans. Verben: sono venuto |
‘habere’ Auxiliar der intrans. Verben: yay venoyt (auch Abruzz.; vgl. AIS 1598, P 619) |
‘habere’ Auxiliar der intrans. Verben: am venit |
LEXIK |
||
ecclesia |
basilica (auch im Okz. und Bündnerrom.; vgl. AIS 783) |
basilica |
sponsus, -a |
novus nuptus |
socius |
pater |
tata (auch Friaul., Abruzz., Apul. ua.; vgl. AIS 5) |
tata |
solus |
singulus |
singulus |
mercuri dies |
media hebdomas |
mercuri dies |
(um ein Merkmal gekürzte Tabelle aus Muljačić 2000, 199 ff. mit Zusätzen von Thomas Krefeld)
|
Das abschließende Schema zeigt die sprachgeschichtliche Stratigraphie Dalmatiens, wo das autochthone Romanische (Dalmatisch) im Unterschied zum autochthonen Istriotischen in Istrien heute ausschließlich als Substrat des Kroatischen und des hier ebenfalls weitestgehend verschwundenen Venezianischen der Küstenstädte (vgl. Barbarić 2015) greifbar ist.
Bibliographie
- Barbarić 2015 = Barbarić, Philipp (2015): Che storia che gavemo qua. Sprachgeschichte Dalmatiens als Sprechergeschichte, Stuttgart, Franz Steiner Verlag.
- Crevatin 1989b = Crevatin, Franco (1989): Istroromanisch: Externe Sprachgeschichte, in: LRL III, 549-554.
- Kloss 1978 = Kloss, Heinz (1978): Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800 (1952), Düsseldorf, Schwann.
- Lausberg 1969 = Lausberg, Heinrich (1969): Romanische Sprachwissenschaft, I, Einleitung und Vokalismus, Berlin, de Gruyter.
- Muljačić 2000 = Muljačić, Žarko (2000): Das Dalmatische. Studien zu einer untergegangenen Sprache, Wien.
- Ursini 1989 = Ursini, Flavia (1989): Istroromanisch: Interne Sprachgeschichte, in: LRL, vol. III, 537-548.
- Ursini 2003 = Ursini, Flavia (2003): La «Romània submersa» nell’area adriatica orientale, in: Ernst, Gerhard et al. (a cura di), Romanische Sprachgeschichte. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen, vol. 1, Berlin / New York, De Gruyter, 683-694.