1. Rumänen und Chinesen in Italien, der Toskana, Florenz und Prato - ein paar Fakten
1.1 Rumänen und Chinesen in Italien
- Rumänen machen mit Abstand den größten Teil der gemeldeten Ausländer in Italien aus: 22,6% (vor Albanien mit 9,8% und Marokko mit 9%)
- Chinesen dagegen nur 5,3% (nach Rumänien, Albanien, Marokko) ausführliche Statistik
- Rumänen leben vorwiegend in folgenden Regionen: Lazio, Lombardia, Piemonte, Veneto, Toscana, Emilia Romagna - ausführliche Statistik auch zur Entwicklung der Immigration von Rumänen in den verschiedenen Regionen
- Chinesen leben vorwiegend in folgenden Regionen: Lombardia, Toscana, Veneto, Emilia Romagna, Piemonte - ausführliche Statistik auch zur Entwicklung der Immigration von Chinesen in den verschiedenen Regionen
1.2 Rumänen und Chinesen in der Toskana, Prato und Florenz - ein Vergleich (Zahlen ISTAT - Stand 01.01.2015)
- Anzahl gemeldeter Rumänen in der Toskana: 83.244
- Anzahl gemeldeter Chinesen in der Toskana: 43.427
- Einwohner Florenz gesamt: 382.900, davon gemeldete Rumänen: 8.418, gemeldete Chinesen: 5.503
- Einwohner Prato gesamt: 190.858, davon gemeldete Rumänen: 3.429, gemeldete Chinesen: 15.957
Man sieht:
- Obwohl in der Toskana fast doppelt so viele Rumänen leben wie Chinesen, sind die Florenz betreffenden Zahlen nicht bedeutend unterschiedlich.
- In Prato leben weitaus mehr Chinesen als Rumänen.
- Die Anzahl der Rumänen in Prato und die der Chinesen in Florenz unterscheiden sich nicht gravierend.
2. Die rumänische Bevölkerung in Italien bzw. der Toskana
2.1 Immigration
- mit dem Ende des Kommunismus bzw. seit 1990 / 1992: Migrationsströme weg von Rumänien
- seit 1996: zunehmend Auswanderung vor allem nach Italien und Spanien
- 2009: ca. 700.000 Beschäftigte Rumänen in Italien
- beschäftigte Männer vorwiegend tätig im Bauwesen
- beschäftigte Frauen vorwiegend tätig in Familien /Haushalten als Reinigungskräfte, Haushaltshilfen, Assistenz für ältere Leute (badanti)
2.2 Integration?
- persönliche Erfahrungen aus meinem kleinen rumänischen Bekanntenkreis in Italien: die ältere Generation arbeitet meist eher als Reinigungskraft, Babysitter, Haushaltshilfe, während die jüngere Generation typische Studentenjobs in der Gastronomie hat; jedoch arbeiten auch junge Rumäninnen gerade zu Beginn als Putzhilfen privat oder in Büros
- trotz Abitur und guter Ausbildung / Universitätsabschluss bestehen meist große Schwierigkeiten für die ältere Generation Arbeit zu finden, die den Qualifikationen entspricht - vgl. "Brain Waste"
- der Großteil der Rumänen - ob jünger oder älter - schickt regelmäßig Geld nach Hause oder spart das Gehalt für ein teures Auto oder ein Haus in Rumänien (Status-Symbole von enormer Wichtigkeit)
- Rumänen haben generell eher wenig Schwierigkeiten sich zu integrieren und Kontakte zu Italienern zu knüpfen, v.a. da sie auf Grund der Ähnlichkeit von Rumänisch und Italienisch keine Sprachprobleme haben und in der Lage sind, die italienische Sprache sehr schnell und gut zu lernen
- viele Rumänen suchen verstärkt den Kontakt zu Menschen gleicher Nationalität und pflegen den Kontakt mit Heimat und Familie
- jedoch haben sie oft mit Vorurteilen zu kämpfen: werden oft gleich gesetzt / verwechselt mit den "rom" / "Roma" und als 'ladri' und 'sfruttatori' abgestempelt
3. Die chinesische Bevölkerung in Italien bzw. der Toskana
3.1 Immigration
- seit dem 19. Jhdt.: Auswanderung der Chinesen auch in die westlichen Länder
- ab Ende des 2. Weltkriegs zunehmend Migrationsströme der Chinesen nach Europa, v.a. Niederlande, Großbritannien und Frankreich
- im Gegensatz zu den Rumänen machen die Chinesen einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung Italiens aus - allerdings nicht in der Toskana (vgl. Prato: fast 50% der dort lebenden Ausländer sind Chinesen)
- in der Toskana sind sie vorwiegend beschäftigt in der Gastronomie, aber auch in der Textil- und Modeindustrie (v.a. Verarbeitung)
- Chinesische Arbeiter eröffnen nach einer gewissen Zeit meist selbst einen eigenen kleinen Betrieb, in dem Familie und Freunde aus China angestellt werden
- zahlreiche kleinere und größere chinesische Unternehmen in Florenz und Prato (v.a. Mode und Leder)
"Spezialfall" Prato:
- Hochburg der chinesischen Mode- und Textilindustrie "Made in Italy"
- überaus hohe Dichte an Chinesen - der Großteil ist in einem der zahlreichen Betriebe in und außerhalb von Prato beschäftigt
- 2005: ca. 3.682 Betriebe in Prato, davon 2.414 betrieben von Chinesen; 2014: ca. 5.230 chinesische Betriebe
- die meisten der Chinesen kommen aus den Provinzen Zhejiang (v.a. Stadt Wenzhou) und Fujian
- während die Chinesen früher eher in der Textilproduktion in Prato tätig waren, haben sie mit der Zeit regelrecht ein 'eigenes Business' entwickelt: "Pronto Moda" - schnelle Mode zu billigen Preisen: Stoffe werden aus China billig importiert und in Prato zu fertigen Kleidungsstücken verarbeitet, inkl. Färben, Nähen etc. ; die fertigen Kledungsstücke werden dann zu billigen Preisen in die übrigen Teile der Toskana oder Italiens und auch nach ganz Europa exportiert
3.2 Integration?
- Wenzhou = Partnerstadt von Prato
- 2007: Projekt "Made in Prato" für die Zusammenarbeit italienischer und chinesischer Modefirmen - ist jedoch wie es scheint im Sande verlaufen...
- große Schwierigkeiten sich zu integrieren: viele Chinesen sprechen die italienische Sprache nicht oder nur sehr schlecht (v.a. die älteren Generationen)
- oft bleibt nach dem überlangen Arbeitstag nur wenig Freizeit
- in der Arbeit und auch privat sind Chinesen meist unter sich - Trennung italienischer und chinesischer Bevölkerung
- Kontakt zu Italienern ist hauptsächlich arbeitsbedingt (Verträge mit italienischen Firmen)
- in Prato sind viele italienische Einwohner sehr schlecht auf die Chinesen zu sprechen - v.a. auf Grund Illegalität und Schwarzarbeit; außerdem fühlen sich viele Einwohner Pratos von den Chinesen mehr und mehr verdrängt
4. Linguistic Landscapes in Florenz und Prato
4.1 Linguistic Landscaping in Florenz
Linguistic Landscaping in der Gegend vom Bahnhof und im historische Zentrum von Florenz - nördliche Flussseite:
a) Rumänisch
- generell kaum Rumänisch im Stadtbild von Florenz
- durch rumänische Freunde habe ich ein paar wenige Adressen rumänischer Geschäfte in Florenz bekommen, dabei fällt auf: sie liegen eher außerhalb des Zentrums und im Norden der Stadt (wo auch viele Rumänen leben):
- 2 Beispiele dieser Geschäfte (die mir ohne die Hinweise rumänischer Bekannte nicht aufgefallen wären):
- zusätzliche Recherche im Internet: Liste mit rumänischen Supermärkten / Lebensmittelläden und Restaurants in den jeweiligen Regionen (leider nur von 2012)
Generell fällt auf:
- (in Florenz) meist kleine unauffällige Geschäfte an vielbefahrenen Straßen
- liegen in der ganzen Toskana verstreut - v.a. in der Provinz Florenz und am Meer (z.B. Arezzo)
- in Florenz verstreut angeordnet, aber nördlich des Stadtzentrums
- Namen der Geschäfte meist rumänisch (sehr oft "Magazin romanesc / alimentar") + Bezeichnung "Alimentari", oder Anspielungen auf Rumänien und/ oder typische Spezialitäten ("Gustul de acasa", "Transilvania", "Decebal")
- Zusatzinformationen / Angebote / Werbung meist auf rumänisch:
Was lässt sich ablesen?
- große Heimatverbundenheit und Bindung zu rumänischen Traditionen
- nicht auf Touristen ausgelegt sondern auf Menschen gleicher Nationalität
- Essen und Spezialitäten spielen eine wichtige Rolle (vgl. italienische Esskultur) - vgl. hierzu auch zweisprachige Internet-Seiten italienischer Firmen, die von Italien aus rumänische Lebensmittel vertreiben: Roma...nia und East Food
Die rumänische Sprache ist im Stadtbild von Florenz eher unsichtbar und eine "comunità romena" nicht erkennbar. Online finden sich einige Seiten, die auf eine rumänische Gemeinschaft innerhalb Italiens hindeuten:
- http://www.romania-italia.net/homepage/
- http://www.italiaromania.com/
- http://www.emigrantul.it/
- http://www.gazetaromaneasca.com/
- http://episcopia-italiei.it/index.php?option=com_content&view=category&id=34&Itemid=56
in Florenz:
- http://www.bisericaortodoxafirenze.com/
- http://parohiigreco-catolice.blogspot.de/2015/03/parohia-greco-catolica-romana-firenze.html
b) Chinesisch
- Chinesisch vorwiegend im Zentrum von Florenz sichtbar - v.a. in kleinen Nebenstraßen in der Nähe des Hauptbahnhofs S. Maria Novella sowie um den Mercato Centrale di S. Lorenzo (dies sind Touristengegenden, aber auch die 'ethnischen' Viertel von Florenz, wo u.a. Afrikaner, Inder, Pakistani und Marokkaner vorwiegend ihre Geschäfte haben):
- es gibt in dieser Gegend auch viele von Chinesen betriebene Läden - kleine Geschäfte mit Kleidung, Taschen, Schuhen, Koffer, Ruchksäcken, die jedoch meist italienische oder gar keine Namen haben und nicht ins Auge stechen; in all diesen Läden kann man ähnliche Produkte zu ähnlich billigen Preisen kaufen
- sprachlich sichtbar sind hauptsächlich Restaurants, vereinzelt Imbissläden und kleine Supermärkte:
Generell fällt auf:
- meist mehrere Läden / Restaurants in derselben Straße oder in unmittelbarer Nähe, auch direkt nebeneinander oder gegenüber
- italienische Namen / Bezeichnungen ("Le Sorgenti", "Il Giardino", "Rosticceria"), zusätzlich in chinesischen Schriftzeichen:
- weitere Informationen / Speisekarte auf Chinesisch, Italienisch und zusätzlich auf Englisch:
Was lässt sich ablesen?
- Versuch sich sprachlich auf italienische Ausdrücke abzustimmen (chinesische Nudeln werden zu "Taglierini", es gibt ein "Menù fisso", "Rosticceria")
- Ausrichtung auf Chinesen, Italiener und gleichermaßen auch auf Touristen (vgl. Dreisprachigkeit Chinesisch-Italienisch + Englisch)
4.2 Linguistic Landscaping Prato
Linguistic Landscaping im historischen Zentrum von Prato:
a) Rumänisch
- keine Spur der rumänischen Sprache beim linguistic landscaping im Zentrum von Prato
b) Chinesisch
- sehr ausgeprägte chinesische Sprachlandschaft im Nordwesten des Zentrums
- sehr hohe, fast ausschließlich Präsenz von Chinesen und Chinesisch im Stadtviertel jenseits der Porta Pistoiese (Via Pistoiese, Via Filzi und deren Zwischen- und Nebenstraßen) - auch genannt "Macrolotto Zero" oder "Chinatown di Prato"
- durchgängig entlang der Via Pistoiese: chinesische Restaurants, Friseure (sehr viele!), Reisebüros, Fotostudios, Fischläden, Schmuckgeschäfte, "Tavole Calde", Supermärkte, Internet Points, Schuhgeschäfte, IT Services, ...
Generell fällt auf:
- Namen immer bilingual Chinesisch-Italienisch
- Anordnung scheint "sortiert": mindestens zwei oder mehr Geschäfte des gleichen Gewerbes treten geballt auf - z.B. mehrere Fischläden oder Tavole Calde oder Frisöre oder Fotoläden, usw. sind direkt nebeneinander / gegenüber:
- weitere Informationen / Speisekarten / Aushänge meist ausschließlich auf Chinesisch:
- starke Präsenz chinesischer bzw. bilingualer Hinweisschilder:
Was lässt sich ablesen?
- Chinesen sind überaus präsent, bilden regelrecht eine "comunità cinese di Prato" (oft werden sie auch als "i cinesi pratesi" bezeichnet), die nach außen hin geschlossen scheint (in diesem Viertel trifft man fast ausschließlich auf Chinesen und fühlt sich als Europäer eher fremd, während man z.B. in der Gegend um den Dom herum kein Chinesisch und auch nur vereinzelt Chinesen sieht)
- Chinesen dominieren in dieser Gegend - italienische Einwohner müssen sich hier auf die Chinesen einstellen (vgl. auch Hinweisschild "Fermata Scolastica" - Informationen von CAP Autolinee auf chinesisch) - wie z.B. dieser italienische Zahnarzt:
Weitere Gegend mit sehr hoher Präsenz der chinesischen Sprache: Industriegebiet, sog. "Macrolotto" (Iolo S. Pietro - Gegend um Viale XVI Aprile) süd-westlich von Prato in Autobahnnähe (leider konnte ich nicht selbst dort hinfahren):
- hier ist eine Vielzahl chinesischer Textil- und Modeunternehmen angesiedelt
- laut Internet findet man hier entlang der Autobahn eine große Ansammlung von bilingualen Schildern, die auf die Großbetriebe / den Direktverkauf der "Pronto Moda" hinweisen
- interessant hierzu: Suche in Pagine Gialle "Prato, Pronto Moda" - ca. 230 Ergebnisse, größtenteils mit chinesischen Namen, Standort überwiegend im Macrolotto
- außerdem interessant: zwei Umgehungsstraßen von Prato haben chinesische Straßennamen: Viale Nam-Dinh und Viale Chang-Zhou
4. Abschließende Überlegungen
Obwohl die rumänische Bevölkerung in Florenz den Zahlen nach etwa ähnlich, ja sogar etwas höher ist als die chinesische, sind die Chinesen und ihre Sprache im öffentlichen Raum dort deutlich sichtbarer. In Prato hingegen ist die chinesische Bevölkerung nicht nur zahlenmäßig sehr viel stärker präsent. Es wäre interessant eine derartige Feldstudie in einem weiteren Raum (z.B. Lazio/Rom) durchzuführen, wo rumänische Einwohner gegenüber chinesischen zahlenmäßig deutlich überwiegen. Generell wirkt die rumänische Bevölkerung nämlich sehr viel integrierter, angepasster und dadurch 'unsichtbarer' als die chinesische Bevölkerung, die -vor allem in Prato- eine eigene, wie es scheint abgegrenzte, deutlich sichtbare "comunità cinese" bildet.
Bibliographie:
French, Rebecca/Johanson, Graeme/Smyth, Russel (Hrsg.) (2009): "Living Outside the Walls: The Chinese in Prato." Newcastle upon Tyne, UK: Cambridge Scholars Publishing, 2-149.
Pieraccini, Silvia (2010): "L'assedio cinese, Il distretto senza regole degli abiti low cost di Prato." Milano: Il Sole 24 ORE S.p.a.
Raluca Torre, Andreea (2010): "Integrazione sociale e lavorativa. Il punto di vista della collettività romena in Italia". In: I romeni in Italia tra rifiuto e accoglienza, Caritas Italiana e Confederatia Caritas România/Pittau, Franco/Ricci, Antonio/Timsa, Laura Ildiko (Hrsg.). Roma: Sinnos editrice, 28-42.
Ricci, Antonio (2010): "Romania: immigrazione e lavoro in Italia prima e dopo l'allargamento." In: I romeni in Italia tra rifiuto e accoglienza, Caritas Italiana e Confederatia Caritas România/Pittau, Franco/Ricci, Antonio/Timsa, Laura Ildiko (Hrsg.). Roma: Sinnos editrice, 14-27.