Die Ausdrücke ‘Sprachgeographie’, ‘Dialektologie’, ‘Areallinguistik’ und ‘Geolinguistik’ werden häufig synonym gebraucht (vgl. Sinner 2014, 113 f.), da sie alle vier auf die Subdisziplinen der Sprachwissenschaft verweisen, die sich mit der räumlichen Variation der Sprachen befassen. Sie sind jedoch unterschiedlich pointiert, und es ist deshalb sinnvoll, auf die unterschiedlichen Implikationen hinzuweisen.
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‘Sprachgeographie’ suggeriert, es handle sich um eine besondere Form der ‘Geographie’ - und nicht der Sprachwissenschaft. Obwohl dieser Ausdruck in bekannten Arbeiten der Fachgeschichte festgeschrieben ist (vgl. in der Romanistik Jaberg 1908, Rohlfs 1971, Coseriu 1975), sollte man ihn daher besser nicht mehr verwenden.
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‘Dialektologie’ bringt zum Ausdruck, dass es sich um die Wissenschaft handelt, die sich mit ‘Dialekten’ befasst; das ist zweifellos richtig, greift allerdings ein wenig kurz, denn räumliche Variation ist keineswegs auf diatopische Varietäten (‘Dialekte’) beschränkt, sondern kennzeichnet in der Regel auch den Standard in Gestalt von Regionalstandards sowie standardnahe Varietäten (wie die so genannten italiani regionali, français régionaux etc.); hier wird auch von ‘sekundären’ und ‘tertiären’ Dialekten gesprochen (vgl. Krefeld 2011; Link). Darüber hinaus sind Dialekte per definitionem Varietäten einer (und nur einer) Einzelsprache; für sprachgrenzüberschreitende Untersuchungen ist dieser Terminus daher ungeeignet (vgl. zum Problem der Grenze Auer 2004; Link).
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Die unter 1. und 2. angeführten Vorbehalte gelten für den eher seltenen, aber z.B. im Lexikon der romanistischen Linguistik (Holtus & Metzeltin & Schmitt 1988-) gebrauchten Ausdruck ‘Areallinguistik’ nicht; allenfalls stört die Einschränkung auf kleine Verbreitungsgebiete (‘Areale’).
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Der allgemeinste, auch für die Beschreibung mehrsprachiger und weitläufiger Gebiete passende Ausdruck ist ‘Geolinguistik’. Er eignet sich darüber hinaus ebenfalls für die Beschreibung mehrdimensionaler kommunikativer Räume geeignet.
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Der allgemeinste Ausdruck ist jedoch nicht unbedingt ideal. Zwar sollte die linguistische Begriffsbildung und die zugehörige Terminologie sich stets von dem als Ockhams Rasiermesser bekannten Prinzip "non sunt multiplicanda entia sine necessitate"1 leiten lassen und niemals ohne Not neue Kategorien in die Diskussion einbringen. Allerdings ist es im Sinne der Klarheit nur konsequent elementare Konzepte und ihren terminologischen Ausdruck beizubehalten. Wenn man sich also von der Vorstellung des homogenen ‘Punktes’ verabschiedet und ihn als Basiseinheit der sprachräumlichen Beschreibung durch das Glossotop ersetzt (Krefeld 2018), d.h. durch den Sprecher mit seiner individuellen Kompetenz und seinem kommunikationsräumlichen Netzwerk, dann wird die ‘Geolinguistik’ zur ‘Glossotopik’.
https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=SoEducPQZJoC&oi=fnd&pg=PR7&dq=italienische+Dialekte+&ots=m6CYExI6Nn&sig=DQ6vXwhMUxQ7aMuAc7FpnfqFQgA#v=onepage&q=italienische%20Dialekte&f=false