Versprachlichungsstrategien zu und über Lateinamerika in München im Kontrast zu Afrika
1. Zur Methode: Was ist Linguistic Landscaping?
1.1. Linguistic Landscape: Definition und Untersuchungsformen
The language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings combines to form the linguistic landscape of a given territory, region, or urban agglomeration. (Landry/Bourhis 1997, 25)
A. Oftmals wird bei der Betrachtung von linguistic landscapes der Fokus auf die Räumlichkeit der SPRACHE (vgl. Krefeld 2004) gelegt: welche Sprachen sind (insbesondere bei offiziell mehrsprachigen Orten) wo und in welcher Form bzw. Häufigkeit präsent? (vgl. aus hispanistischer Sicht bspw. Castillo Lluch/Sáez Rivera 2013, Castillo Lluch 2022, Pons Rodríguez 2012, Sáez Rivera/Castillo Lluch 2012)
B. Ein weiterer Zugang ist stärker soziologisch und stärker an der Räumlichkeit des SPRECHENS (vgl. Krefeld 2004) orientiert: welche sprachlichen Strategien werden in der linguistic landscape verwendet, welche Inhalte verhandelt und wie kann dies interpretiert werden? (vgl. aus aktueller hispanistischer Sicht Morant-Marco 2022)
1.2. Problematik der Datenlage, crowdsourcing
In Anlehnung an (Purschke 2017, 182 f.) sind die gesammelten Daten in mehrfacher Hinsicht zumindest diskussionswürdig und die Gefahr einer Übergeneralisierung der Ergebnisse muss vermieden werden.
Lösungsansatz für das Seminar (vgl. ebenfalls Purschke 2017): crowdsourcing (vgl. z.B. App LINGSCAPE)
➡ dynamischer Ansatz (fortwährende Aktualisierung), periphere Daten werden eher erfasst, Steigerung der Repräsentativität durch Erhöhung der Daten, damit auch mehr Detailgenauigkeit und stärker emischer (Pike 1967) Ansatz (wenn User selbst taggen/kommentieren)
2. Linguistic Landscaping: Ziele
Kolumbusstr. 31 (24.5. TG) | Kolumbus/Humboldtstr. (24.5. RL) | Hiltenspergerstr. 19 (19.5. TG) |
Funktionen von LL
- informative Funktion: welche Sprachen verwenden die Sprecher innerhalb eines bestimmten Raums
- symbolische Funktion: Repräsentation der Existenz, der Stärke und der Macht/Prestige bestimmter ethnischer Gruppen innerhalb eines bestimmten Raums
→ meist Konzentration auf urbanen Räume
Vorgehensweise
- Repräsentationen von Sprachengebrauch in ihrer sozialen Umgebung dokumentieren
- Multilinguismus im öffentlichen Raum identifizieren und analysieren
- Sprachgebrauch, mehrsprachige Praktiken, Sprachenwahl interpretieren (Variation und Varietäten, Framing, Stereotype, sprachliche Kreativität, sprachliche Präferenzen, etc.)
→ große Frage der Soziolinguistik:
Who Speaks What Language to Whom and When?(Fishman 1965)
Mehrwert
- Erweiterung des soziolinguistischen Repertoires um eine weitere Methode
- Soziale und sprachliche Realität vollständiger abbilden
- Für Mehrsprachigkeit und Multikulturalität sensibilisieren
- Brauchbares Werkzeug für die Fremdsprachendidaktik
Tangierte linguistische und gesellschaftliche Problemfelder (Auswahl)
- Perzeptive Linguistik: Einstellungen und Repräsentationen der Sprecher*innen (Krefeld/Pustka 2010)
- Raumsoziologie: die Anderen vs. eigene peer group: Auto- vs. Heterorepräsentationen
- Mehrsprachigkeitsforschung: Präsenz von Sprachen im öffentlichen Raum
- Frame-Semantik: wiederkehrende frames in der Linguistic Landscape
- Semiotik: Schilder, Graffiti, Plakate und Sticker als multimodale Zeichen (Verhältnis Text<>Bild)
3. Kurzzusammenfassung des Seminars
Im Seminar haben wir den kommunikativen Raum München aus einer besonderen Perspektive betrachtet: wie wird im öffentlichen Raum schriftlich über Lateinamerika kommuniziert (spontan, z.B. über Sticker und Graffiti, oder geplant, z.B. über Beschilderungen)? Dies ist aus perzeptionslinguistischer Sicht insofern relevant, da davon ausgegangen werden kann, dass wiederkehrende sprachliche Muster in den Produktionen (z.B. kulturelle Stereotypen oder bestimmte Lexeme) letztlich auch in den Repräsentationen der Sprecher*innen abgespeichert werden können. Dies kann sowohl zur Verfestigung falscher Stereotypen, aber umgekehrt auch zu einer Korrektur dieser Stereotypen beitragen.
4. Beispielanalyse (Postlep 2021): Subsaharisches Afrika in München
4.1. Beispielkorpus (● Auto- vs. ▲ Heterorepräsentation)
4.2. Zusammenfassung der Ergebnisse
Im betrachteten Sample standen sich koloniale und postkoloniale Versprachlichungsstrategien gegenüber:
- Die Präsenz Afrikas im öffentlichen Raum München scheint recht gering zu sein. Am häufigsten finden sich Bezüge zu Ländern, die aus ehemaligen deutschen Kolonien hervorgegangen sind sowie zu Äthiopien, Westafrika (hoher Bevölkerungsanteil) und dem südlichen Afrika (Tourismus).
- Auto- vs. Heterorepräsentationen:
- ● MEHRSPRACHIGKEIT: Auto: lokal mehrsprachig (v.a. englisch, aber auch französisch oder afrikanische Sprachen) vs. Hetero: territorial einsprachig
- ▲ Afrika = KRISE: in Heteroperspektive stark präsent (aktuelle wie historische Bezüge), in Autoperspektive beschränkt auf money transfer
- ▲ Afrika = ABENTEUER: fast ausschließlich heterorepräsentativ vorhanden
- ●▲ Afrika = FAUNA ("Big Five"): kommerziell in Auto- und Heteroperspektive vorhanden, v.a. in bildlichen Verfahren (Logos)
- ● Afrika = KULTUR: vor allem autorepräsentativ genutzt, insbesondere in Bezug auf Ess-KULTUR
- ●▲ Afrika = LUXUS: erneut sowohl in Auto- und Heteroperspektive vorhanden, kommerzielle Strategie
- Zentrum vs. Peripherie:
- ●▲ Zentrum: Auto- und Heterorepräsentationen nebeneinander, ausgeprägtere Mehrsprachigkeit, zusätzlicher Fokus auf KULTUR, LUXUS;
- ▲ Peripherie: fast nur heterorepräsentativ, KRISE und ABENTEUER stärker vorhanden (aber oft kritisch kommentiert), kaum Bezüge auf afrikanische KULTUR oder LUXUS-Produkte afrikanischer Herkunft.
5. Überleitung zu Lateinamerika in München (Teresa)
- Welche Lateinamerikaner:innen leben in München?
- Seit wann leben Lateinamerikaner:innen in München?
- Wo werden sie sichtbar?
- Welches sind die größten Gruppen (Staatsangehörigkeit, Gruppen etc.)?
5.1. Ein Blick in die Demographie Münchens
Zahlenstrake lateinamerikanische Comunities in München:
Brasilien, Mexiko, Kolumbien
8,2 Prozent der Zuzüge aus dem Ausland kamen aus Amerika und 0,8 Prozent aus Australien/ Ozeanien. Im direkten Wanderungsaustausch mit München dominieren die Vereinigten Staaten, gefolgt von Australien und Kanada. Dabei beruht die Wanderung auf einem gegenseitigen Austausch, so dass die Einwohnergewinne nur moderat ausfallen. Eine zunehmende Wanderungsdynamik war mit südamerikanischen Ländern zu beobachten. Hier sind Brasilien, Mexiko und Kolumbien zu nennen, deren Motivation wiederum in Verbindung mit der wirtschaftlichen und politische Situation in den Herkunftsländern steht. Mit 4.532 Zuzügen und 2.723 Wegzügen ergab sich für 2019 ein Wanderungssaldo in Höhe von +1.809 Personen. 2020 betrug der Wanderungssaldo +840 Personen.(Stadt München 2021, 41)
5.2. Unser Team
Hilal Adic, Elisabeth Grosch, Teresa Gruber, Nicole Honemeyer, Ruth Lauer, Caroline Linder, Victoria Moser, Sebastian Postlep, Sylvana Weir
5.3. Vorgehensweise
→ Jagd mit dem Fotoapparat
Landsbergerstraße 14 (7.5. TG) | Nyphenburger Str. 47 | Olympia-Dorf Haus J43 (24.5. SW) |
5.4. Analysekategorien und Ergebnisse
Team 1: Länderrepräsentationen und Transparenz
- Hilal Adiç & Elisabeth Grosch
- Welche Länder sind repräsentiert (über-/unter-)? Ist das für jeden ersichtlich?
LAMUC: Repräsentationen der einzelnen Länder (Team 1)
LAMUC: voll transparente / halbtransparente / opake Repräsentationen (Team 1)
Team 2: Mehrsprachigkeit, Auto- vs. Heterorepräsentation und Kommerz vs. Information
- Nicole Honemeyer und Ruth Lauer
- Wie sind die Sprachen verteilt und wie hängt das mit den Urheber:innen und dem Zielpublikum zusammen?
LAMUC: Auto-/Heterorepräsentation (Team 2)
LAMUC: Mehrsprachigkeit (Team 2)
LAMUC: Mehrsprachigkeit und Auto- /Heterorepräsentation (Team 2)
LAMUC: kommerzielle vs. informative Repräsentation (Team 2)
Team 3: Frames & Stereotype in Text und Bild und ihre Sichtbarkeit im Stadtbild
- Sylvana Weir, Caroline Linder und Victoria Moser
- Welche Themen sind dominant und werden diese überwiegend nur textuell oder auch (bzw. vor allem) bildlich präsentiert? Ist die Darstellung zentral im Stadtbild ('selbstbewusst') oder eher peripher ('versteckt')? Inwiefern liegen Stereotype vor?
LAMUC: zentrale und periphere Repräsentationen; statische vs. temporäre Präsenz (Team 3)
LAMUC: Text/Bild-Kongruenz (Team 3)
Bibliographie
- Castillo Lluch 2022 = Castillo Lluch, Mónica (2022): Time-lapse del paisaje lingüístico de Lausana en español (2013–2021), in: Mercedes de la Torre García / Francisco Molina-Díaz (eds.): Paisaje lingüístico: cambio, intercambio y métodos, Berlin, de Gruyter, 41-79 (Link).
- Castillo Lluch/Sáez Rivera 2013 = Castillo Lluch, Mónica / Sáez Rivera, Daniel M. (2013): Introducción, in: Revista Internacional de Lingüística Iberoamericana, vol. 11, 1: Paisajes lingüísticos en el mundo hispánico, Iberoamericana Editorial Vervuert, 9-22 (Link).
- Fishman 1965 = Fishman, Joshua (1965): Who Speaks What Language to Whom and When?, in: La Linguistique 1.2, 67-88.
- Krefeld 2004 = Krefeld, Thomas (2004): Einführung in die Migrationslinguistik: Von der "Germania italiana" in die "Romania multipla", Tübingen, Narr.
- Krefeld/Pustka 2010 = Krefeld, Thomas / Pustka, Elissa (2010): Für eine perzeptive Varietätenlinguistik, in: Krefeld, Thomas / Pustka, Elissa (Hrsgg.), Krefeld/Pustka 2010c, 9-28.
- Landry/Bourhis 1997 = Landry, R. / Bourhis, R. Y. (1997): Linguistic Landscape and Ethnolinguistic Vitality: An Empirical Study, in: Journal of Language and Social Psychology, vol. 16, 1, 23-49 (Link).
- Morant-Marco 2022 = Morant-Marco, Ricard (2022): Paisaje lingüístico y transformación social, in: Mercedes de la Torre García / Francisco Molina-Díaz (eds.): Paisaje lingüístico: cambio, intercambio y métodos, Berlin, Peter Lang, 143-164 [SRL; 70] (Link).
- Pike 1967 = Pike, Kenneth Lee (1967): Language in relation to a unified theory of the structure of human behavior (second edition), Den Haag/Paris, Mouton.
- Pons Rodríguez 2012 = Pons Rodríguez, Lola (Hrsg.) (2012): El paisaje lingüístico de Sevilla: Lenguas y variedades en el escenario urbano hispalense, Sevilla, Diputación de Sevilla.
- Postlep 2021 = Postlep, Sebastian (2021): Auto- und Heterorepräsentationen Afrikas im öffentlichen Raum (München) – linguistische Perspektiven zur Analyse (post-)kolonialer Diskurse, in: Lehre in den Digital Humanities - Ein Portal der IT-Gruppe Geisteswissenschaften der LMU, München (Link).
- Purschke 2017 = Purschke, Christoph (2017): Crowdsourcing the linguistic landscape of a multilingual country. Introducing Lingscape in Luxembourg, in: Linguistik online 85, 6/17, 181-202 (Link).
- Sáez Rivera/Castillo Lluch 2012 = Sáez Rivera, Daniel M. / Castillo Lluch, Mónica (2012): The human and linguistic landscape of Madrid (Spain), in: C.Hélot, M. Barni, R. Janssens & C. Bagna (eds.), Linguistic Landscapes, Multilingualism and Social Change: Diversité des approches, Bern, Peter Lang, 309-328 (Link).
- Stadt München 2021 = Stadt München (Hrsg.) (2021): Demographiebericht München – Teil 1. Analyse und Bevölkerungsprognose 2019 bis 2024 für die Landeshauptstadt, München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung Stadtentwicklungsplanung – Bevölkerung, Wohnungsmarkt und Stadtökonomie.