1. Sprachraum
Das Territorium ist zu Beginn des 13. Jhs. noch von den Auswirkungen der Reconquista geprägt (Rückeroberung Toledos im Jahre 1085).
Sprachliche Konsequenzen der Reconquista für Toledo
➡ Umgestaltung der etablierten sprachlichen Verhältnisse (zuvor: gehobenes Westgotenlatein [Nähe] + Mittellatein [Distanz])
- in den nördlichen Königreichen Abkehr vom Latein und Prestigegewinn der Nähevarietäten
Wie lange die vertikale Verständlichkeit der Distanzsprache auf der Iberischen Halbinsel andauerte, darüber gehen die Meinungen auseinander. […] Spätestens jedoch seit 1080 [...] wurden Volkssprache und Latein als zwei verschiedene Sprachen empfunden.
(Bollée/Neumann-Holzschuh 2008: 56)
- mit der Verbreitung der christlichen Königreiche:
- Verbreitung der Randidiome nach Süden (Galicisch-Portugiesisch, Leonesisch, Kastilisch, Aragonesisch, Katalanisch) (Ausnahme: Baskisch)
- während sich Portugiesisch im Westen behaupten kann, werden Aragonesisch und Leonesisch vom Kastilischen „gebremst“
- Katalanisch wird ebenfalls abgeschnitten, verbreitet sich aber im Mittelmeerraum (Valencia, Balearen)
- Südliche Grenzgebiete teilweise komplett entvölkert:
- Wiederbesiedelung durch fliehende Mozaraber aus dem Süden
+ Siedler aus den nördlichen Provinzen - Kast./Port.: Entstehung neuer „Ausgleichsvarietäten“= Sekundärdialekte
(d.h. geringe regionale Unterschiede; vgl. Schäfer-Prieß/Schöntag 2012: 38)
- Wiederbesiedelung durch fliehende Mozaraber aus dem Süden
➡ Romanische Sprachen werden fortan unterschieden!
Die Einheitlichkeit des iberischen Romanisch wurde besonders nachhaltig durch den Vormarsch des Kastilischen während der Reconquista durchbrochen: Ab dem 11./12. Jh. entstand bei den Portugiesen und Kastiliern nun das Bewusstsein von einer eigenen Sprache.
(Endruschat / Schmidt-Radefeldt 2006: 35)
➡ dominante Territorial- und Arealvarietät im Toledo des 13. Jhs.: Sekundärdialekt des Kastilischen (mit Einflüssen der benachbarten Idiome aus dem Süden, Westen und Osten)
2. Jüdische Bevölkerung: Charakteristika des Sprach- und Varietätenraumes
Neben den dominant kastilischsprachigen repobladores waren weitere Sprechergruppen ansässig. Unter anderem eine größere jüdische Bevölkerungsgruppe, deren Anfänge bis in die Westgotenzeit zurückreichen.
Jews must have been established there as early as the sixth century; for the third Toledo Council (589) inserted in its canon provisions against the intermarriage of Jews and Christians, [...] and in 693 the sixteenth Toledo Council confirmed the other anti-Jewish laws. It is not surprising, therefore, that the Jews are reported to have assisted the Arabs in the conquest of Toledo (715). During the Arabic period of the city's history little is known of the position of its Jews. Probably it was very advantageous, and the Jews doubtless thoroughly assimilated themselves with the general population in language and customs, inasmuch as the minutes of the congregation were kept in Arabic down to the end of the thirteenth century.
(Jewish Encyclopedia, 'Toledo', Hervorhebung S.P.)➡ vor der Reconquista: Territorialsprache Arabisch, Arealsprachen Arabisch und Hebräisch
In the same year [1147, S.P.] many Jewish exiles, driven out of Arabic Spain by the persecution of the Almohades, took refuge in Toledo. The Jews held important positions at court there, [...]. This favoritism appears to have led to a riot in Toledo in 1178 [...].
Under Alfonso X., the Wise, Toledo rose in importance as a center of Jewish activity in translation from the Arabic into Hebrew, and less often into Latin and Spanish.
(Jewish Encyclopedia, 'Toledo', Hervorhebung S.P.)➡ nach der Reconquista: Territorialsprache Kastilisch (selten: Latein), Arealsprachen Kastilisch, weiterhin außerdem Arabisch und Hebräisch
3. Kulturgeschichtlicher Exkurs: ¿convivencia?
Im 12. und 13. Jh. ist Toledo auch das jüdische Zentrum im christlichen Spanien:
Toledo was practically the center of the Spanish Jewry in Christian Spain. [...] After the arrival of Asher b. Jehiel, Toledo was distinguished as a center of Talmudic study also. [...] At one time the whole of the southwest portion of the city was inhabited by Jews, and there were two Jewish quarters—the Alcana, or smaller Jewry, and the Juderia itself, in which both the still extant synagogues were located. (Jewish Encyclopedia, 'Toledo')
Das Zusammenleben der Religionen war allerdings strengen Regeln unterworfen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die entsprechende Gesetzgebung in den Siete Partidas (Partida Séptima, título XXIV 'De los judios'):
Mansamente et sin bollicio malo deben vevir et facer vida los judios entre los cristianos, guardando su ley et non diciendo mal de la fe de nuestro señor Jesucristo que guardan los cristianos. Otrosi se deben mucho guardar de non predicar nin convertir á ningunt cristiano que se torne judio [...]. (Ley II)
Cómo pueden haber los judios sinagoga (Ley IV)
Cómo non deben apremiar á los judios en dia de sábado, et quáles jueces los pueden apremiar (Ley V)
Cómo los judios deben andar señalados porque sean conoscidos (Ley XI)
➡ In der Theorie war die convivencia also möglich, jedoch nach strengen Regeln und für die jüdische Bevölkerung mit anderen Maßstäben: Kennzeichnungspflicht, Missionierungsverbot, Verbot der Mischehen, eigene Stadtviertel, usw.
In der Praxis?
- bei den Siete Partidas (erste Version: 1256-1265, zweite Version: 1272-1275) handelt es sich um ein Regelwerk, das für das gesamte Königreich gelten sollte (Rückkehr zum römisch-kanonischen Recht; ≠ Stammesrecht, Gewohnheitsrecht)
- Innovation: zuvor eher lokale Gesetzgebung (so genannte Fueros)
- leitet die Abkehr von der Feudalmonarchie ein, da fortan der König im Zentrum des Reiches stand („«cabeza», «alma» y «corazón» del reino“; González Jiménez 22005, 369)
- wurde nicht vor 1348 veröffentlicht
- 14. Jahrhundert allgemein deutlich stärker geprägt von antijüdischer Gesetzgebung und Krypto-Judentum (conversos); wachsende anti-jüdische Haltung in Toledo kulminiert im Massaker von 1391
This was practically the ruin of the Toledo Jewry. Only a few years later Henry III. threatened the Jews with slavery if they did not pay all their taxes (ib. No. 1300); and the next year John II. withdrew civil jurisdiction from them and entrusted it to the alcaldes. (Jewish Encyclopedia, 'Toledo')